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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Stimme, und er rief ziemlich laut: » Champagne pour tous!«
    Es war schon spät. Die meisten Leute waren bereits gegangen. Mein Vater wurde von einem jungen Künstler belagert, und ich hörte, wie sie über den Einfluss der Depression und der Eifersucht auf die britische Psyche diskutierten. Meine Mutter war angesäuselt und flirtete mit einem älteren Herrn, der für das Verlagshaus Orion arbeitete. Sie zeigte ihm, wie man aus einer Serviette ein Huhn falten konnte. Er war ganz gebannt. Als ich von der Toilette zurückkam, blickte ich mich nach Arthur um, und anstatt ihn umgeben von Leuten zu sehen, sah ich ihn ganz allein bei der Tür herumsitzen. Eine verlorene Gestalt, halb im Schatten verborgen, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Ich dachte, es sei die ängstliche Anspannung des Abends, die seine Ausgelassenheit in einen Hinterhalt gelockt hatte; die Ernüchterung nach der Beendigung eines großen Projekts und eines erfolgreichen obendrein. Doch als ich näherkam, konnte ich sehen, dass es etwas anderes war, etwas Tiefgreifenderes, dessen Resonanz ganz gegenwärtig, verzweifelt und sentimental war.
    » Ich bin’s«, sagte ich. » Alles okay mit dir?«
    Er lächelte und nickte.
    » Ein gelungener Abend.« Ich setzte mich neben ihn.
    » Ja.« Er ließ den Kopf hängen, fuhr mit einem Finger eine Vene nach, prall, geschwollen, ein blauer Wurm, unter seiner Haut vergraben.
    » Ich hab kein Geld mehr«, sagte er.
    » Was?«
    » Ich hab kein Geld mehr.«
    Schweigen.
    » Ist es das, was dir Sorgen macht, Arthur? Wir haben genug, das weißt du doch. Du kannst so viel haben, wie du brauchst. Sag es Mum und Dad.«
    » Nein, Elly. Ich. Hab. Kein. Geld. Mehr.«, sagte er und betonte jedes Wort überdeutlich, presste die Bedeutung aus ihnen heraus, bis er fühlte, wie das Begreifen und die Tragweite seiner Worte sich in meinem Gesicht ausbreiteten.
    » Mein Gott…«
    » Genau.«
    » Wer sonst weiß davon?«
    » Nur du.«
    » Wann ist es dir ausgegangen?«
    » Vor einem Monat. Sechs Wochen.«
    » Verdammt.«
    » Genau.«
    Pause.
    » Also wirst du nicht sterben?«
    » Na ja, eines Tages schon«, bemerkte er ziemlich weise.
    » Ich weiß«, sagte ich lachend. Und verstummte. Er schaute traurig drein.
    » Jetzt bin ich wieder sterblich. Menschlich. Jetzt ist da wieder dieses Nicht-Wissen, und ich spüre, dass ich Angst habe.« Eine einzelne Träne quoll aus seinem Auge.
    So saßen wir da, schweigend, bis auch die letzten Nachzügler gegangen waren, bis der riesige Raum nur noch von den Geräuschen, die vom Tische abräumen und Stühle zurechtrücken herrührten, erfüllt war, statt von dem Klang der Vergnügungen und der Tafelfreuden.
    » Arthur?«
    » Mmm?«
    » Jetzt kannst du’s mir doch sagen. Wie es passieren sollte? Wie hättest du sterben sollen?«
    Und er schaute in die Richtung, aus der meine Stimme kam, und sagte: » Eine Kokosnuss hätte mir auf den Kopf fallen sollen.«

Ich stand mit der Sonne auf und trank meinen Kaffee auf dem Dach, eingewickelt in eine alte Kaschmirstrickjacke, die Nancy mir vor Jahren gekauft hatte– mein erster erwachsener Besitz. Eine Strickjacke, die mehr kostete als ein Mantel. Später, als der Fleischmarkt für den heutigen Tag seine Pforten schloss, und die Arbeiter ihre weißen Arbeitskittel ablegten und zum Frühschoppen gingen, las ich noch einmal Jenny Pennys Brief und schrieb meine » Verloren und Wiedergefunden«-Kolumne für diese Woche zu Ende.
    7. September 2001
    Elly … ich verdiene mir ein bisschen was dazu, seitdem ich wieder mit dem Kartenlesen angefangen habe. Es gibt den Leuten Hoffnung. Ich versuche immer klarzustellen, dass es nicht nur das Kartenlesen selbst ist, sondern die Psychologie, die dahintersteckt. Aber manche Leute blicken nie zurück, weißt Du. Für manche ist die Vergangenheit einfach zu weit weg, als dass sie sie sehen könnten. Bei den Lebenslänglichen bin ich mittlerweile recht gefragt! In letzter Zeit habe ich, welche Karte sie auch zogen, immer Freiheit darin gesehen, ob es sich nun um die Fünf der Stäbe handelte oder die Prinzessin der Stäbe, sogar im Tod. Aber ich sehe nie Freiheit in Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist eine komplizierte Karte für die Inhaftierten.
    Heute Morgen habe ich eine Karte für mich gezogen – aufs Geratewohl. Normalerweise erwische ich immer Ausgeglichenheit oder die Fünf der Kelche. Aber heute Morgen habe ich den Turm gezogen. Den Turm! Und dann habe ich noch eine für Dich gezogen. Zwei Türme, Elly!

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