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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Hintereinander. Was für ein Zufall!
    Es ist die mächtigste Karte. Wenn der Turm fällt, wird nichts mehr so sein, wie es war. Jetzt ist die Zeit für wahrhafte Heilung. Das Alte ist vergangen und macht dem Neuen Platz. Wir müssen an nichts mehr festhalten, denn alles wird zerstört werden von dieser transformierenden Kraft. Die Welt verändert sich, Elly, und wir müssen darauf vertrauen. Das Schicksal winkt. Und wenn wir die Gesetze des Universums akzeptieren können, die Ebbe und die Flut von Freude und Tragödie, dann haben wir alles, was wir brauchen, um wahre Freiheit zu erlangen …
    Ich hörte auf zu lesen. Konnte ihre Worte hören, bestimmt und überzeugend wie ihre Beschreibung von Atlantis vor vielen Jahren. Die Gewissheit. Die hypnotische Verlockung des Glaubens. Ich klappte den Computer zu und trank meinen Kaffee aus.
    Ich fühlte mich ruhelos, verspürte wieder dieses Gefühl, das ich nun schon eine Weile kannte: dass wir schließlich zum Ende kamen. Fünf Jahre waren es nun schon, fünf Jahre Liberty und Ellis, und ich spürte, dass ihre Geschichten nun erzählt waren. Aber ich zögerte ihn hinaus, den endgültigen Abschied, insbesondere, da ich erfahren hatte, dass sich schon bald die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung für sie ergeben könnte. Das hatte mir mein Vater eine Woche zuvor mitgeteilt. Und obwohl es noch einige Dinge zu klären gab, würde sie schon bald erfahren, dass er es sein würde, der sie bei dieser letzten Anhörung vertrat, sie hinausführen sollte in ein Leben, das fünf Jahre lang ohne sie weitergegangen war. Also würde ich diese letzte Kolumne noch ein Weilchen länger aufschieben, diejenige, die sie selbst schreiben würde, hier auf dem Dach, mit mir an ihrer Seite.
    Ich ließ das Frühstück ausfallen und machte mich auf den Weg nach Soho für ein Mittagessen, bestehend aus Cappuccino und Croissant. Ich mochte diesen Spaziergang, einfach die High Holborn entlang von der Chancery Lane Richtung Westen bis zu der Gabelung New Oxford Street. Die Sonne kletterte höher, und die Schatten wurden kürzer, die Stadt erwachte und spie von allen Seiten Menschen auf die Straßen. Ich kam zu Cambridge Circus und bog unvermittelt in die Charing Cross Road ein, um zur National Gallery und ihrer Vermeer-Ausstellung zu gelangen, deren Besuch ich nachlässig vor mir hergeschoben hatte. Nun wurde es langsam knapp; es blieben mir nur noch sechs Tage. Ich machte noch nicht einmal einen Abstecher zu Zwemmerbooks wie sonst, oder in die Antiquariate, deren Schnäppchenangebote bereits meine Bücherregale füllten. Nein, ich ging zügig weiter und schlängelte mich an gemächlich vor sich hin bummelnden Touristen vorbei.
    Ich konnte die Schlange an der Kasse schon von weitem sehen. Die Ausstellung war die meiste Zeit über ausverkauft gewesen, und ich stellte mich schon resigniert auf eine weitere verpasste Gelegenheit ein. Doch als ich mich zum Ende der sich nur zäh vorwärtsbewegenden Schlange gesellte, hörte ich das Getuschel, es gebe noch Karten für den Nachmittag. Und tatsächlich, als ich am Schalter ankam, fragte der Verkäufer: » Ist drei Uhr okay?«, und ich sagte » Okay.« Und dann stand ich dort in der kühlen, klimatisierten Luft der Eingangshalle mit der Eintrittskarte in der Hand und war froh, dass mein Tag nun geplant war.
    Soho war ruhig, und ich setzte mich draußen hin; etwas, das ich gerne machte, sogar im Winter. Einige Lieferwagen hatten Verspätung, und Sackkarren mit aufgestapelten Speiseölkanistern und Weinkisten und Tomaten wurden achtlos zu den Eingängen gerollt, verschwanden in Restaurantküchen und tauchten erst eine Weile später leer wieder auf. In meinen Augen würde dies immer eine Geschäftsstraße bleiben. Anderswo waren all die alten Läden bereits verschwunden oder standen kurz davor, weil habgierige Vermieter nur auf die großen Markennamen warteten. Die Namen, die sich die deftigsten Mieten leisten konnten, und alle anderen mussten einpacken. Ich blickte nach links. Jeans Frisörsalon war noch da und Jimmy und natürlich auch Angelucci. Zum Glück, denn von dort ließen sich meine Eltern noch immer ihren Kaffee schicken, eine Espressomischung, die der Postbote nur zu gern auslieferte, weil der Duft ihm den ganzen Tag versüße, wie er immer sagte. Diese Ecke war noch sicher, zumindest vorerst. Ich holte meine Zeitung heraus und bestellte meinen Cappuccino und das Croissant. Diese Ecke war sicher.
    Es war schwer vorstellbar, dass wir schon

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