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Als ich im Sterben lag (German Edition)

Als ich im Sterben lag (German Edition)

Titel: Als ich im Sterben lag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Faulkner
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die Kanten abgeschliffen sind und nichts mehr damit anzufangen ist, jedenfalls nichts, das einem Mann die Befriedigung gäbe zu sagen: Das hat es noch nie gegeben, und das wird es nie wieder geben.
    Wir sagten also nichts, auch nicht, als er nach einer Weile neben uns auf dem Feld auftauchte und sich an die Arbeit machte, ohne die Zeit gehabt zu haben, erst nach Haus zu gehen und so zu tun, als hätte er die ganze Nacht im Bett gelegen. Ma sagte er, er hätte zum Frühstücken keinen Hunger gehabt, er hätte schon beim Anspannen ein Stück Brot gegessen. Aber Cash und ich wussten, dass er in solchen Nächten überhaupt nicht zu Hause gewesen war und erst aus dem Wald kam, wenn wir schon auf dem Feld waren. Aber wir sagten nichts. Der Sommer war da schon fast vorüber: wir wussten, wenn die Nächte jetzt kühl wurden, hätte sie genug, auch wenn er gern weitermachen würde.
    Als aber der Herbst kam und die Nächte länger wurden, bestand der einzige Unterschied darin, dass er nun immer im Bett lag, wenn Pa kam, um ihn zu wecken; er konnte ihn aber bloß in jenen Zustand von Halbidiotie wachrütteln wie am Anfang, als die ganze Geschichte losging; es war sogar schlimmer, als wenn er die ganze Nacht ausgeblieben wär.
    «Die hat aber Ausdauer», sagte ich zu Cash. «Bisher hab ich sie bewundert, aber jetzt zieh ich meinen Hut vor ihr.»
    «Es geht nicht um eine Frau», sagte er.
    «Du musst es ja wissen», sagte ich. Aber er sah mich nur aufmerksam an. «Um was geht es dann?»
    «Das will ich rausfinden», sagte er.
    «Du kannst ihm die ganze Nacht im Wald nachspüren, wenn’s dir Spaß macht», sagte ich. «Ich mach nicht mit.»
    «Ich spüre ihm nicht nach», sagte er.
    «Wie nennst du es dann?»
    «Ich spüre ihm nicht nach, jedenfalls nicht so, wie du denkst.»
    Und so, ein paar Nächte später, hörte ich, wie Jewel aufstand und aus dem Fenster kletterte, und dann hörte ich, wie Cash aufstand und ihm folgte. Als ich am nächsten Morgen zur Scheune ging, war Cash schon da, die Mulis waren gefüttert, und er half Dewey Dell gerade beim Melken. Und als ich ihn sah, wusste ich, dass er wusste, um was es ging. Hin und wieder ertappte ich ihn, wie er Jewel mit einem frotzelnden Blick streifte, als hätte er herausgefunden, wohin Jewel ging und was er trieb, und als hätte es ihn große Anstrengung gekostet, dahinterzukommen. Aber es war keine Besorgnis in seinem Blick. Ich kannte diesen Blick bei ihm, wenn er Jewels Arbeit rund ums Haus machte, Arbeit, von der Pa immer noch glaubte, dass Jewel sie selbst erledigte, und von der Ma glaubte, dass Dewey Dell sie machte. Ich sprach ihn nicht an, ich glaubte, wenn er in seinem Kopf erst einmal alles verdaut hätte, würde er mich schon einweihen. Aber er tat es nie.
    Eines Morgens – es war schon November, fünf Monate, nachdem alles angefangen hatte – war Jewel nicht im Bett und kam auch nicht zu uns aufs Feld. Es war das erste Mal, dass Ma etwas von dem erfuhr, was sich abgespielt hatte. Sie schickte Vardaman los, er sollte herausfinden, wo Jewel war, und kurz danach kam auch sie herunter. Solange die Täuschung ruhig und ohne Störung ihren Gang genommen hatte, war es, als hätten wir uns alle täuschen lassen, als hätten wir unbewusst oder vielleicht aus Feigheit Vorschub geleistet, denn alle Menschen sind Feiglinge und ziehen naturgemäß jede Art von Täuschung vor, weil sie ein schmeichelndes Äußeres hat. Jetzt aber war es, als hätten wir alle – auf eine telepathische Übereinstimmung eingestandener Furcht hin – die ganze Geschichte zurückgeschlagen wie Decken auf dem Bett, und säßen kerzengerade da in unserer Nacktheit, starrten einander an und sagten: «Das ist jetzt die Wahrheit. Er ist nicht nach Hause gekommen. Es ist ihm etwas zugestoßen. Wir haben nicht verhindert, dass ihm etwas zugestoßen ist.»
    Dann sahen wir ihn. Er kam den Straßengraben entlanggeritten, schwenkte quer aufs Feld ein und ritt auf uns zu. Mähne und Schweif des Pferds wehten und wirbelten, als wollten sie das scheckige Muster des Fells in Bewegung umsetzen; er sah aus, als reite er auf einer großen Kinderwindmühle, ohne Sattel, mit einer Schnur als Zügel und ohne Hut. Das Pferd war ein Abkömmling der alten Texas-Ponys, die Flem Snopes vor fünfundzwanzig Jahren hierhergebracht und für zwei Dollar pro Kopf losgeschlagen hatte, und niemand außer dem alten Lon Quick konnte so ein Tier bändigen, und er besaß immer noch ein paar Exemplare dieser Rasse, weil er sie nicht

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