Als ich noch der Waldbauernbub war - Arena Kinderbuch-Klassiker
vom Turme schon die Mittagsglocke in den heißen Sommersonntag hinausklang, kniete die Mutter immer noch in einem der Stühle und klagte Marien ihr Anliegen. Die »liebe Frauen« saß auf dem Altare, legte die Hand in den Schoß und bewegte weder den Kopf noch die Augen noch die Hände und da konnte meine Mutter nachgerade sagen, was sie wollte.
Ich hielt mich lieber in der großen Kirche auf und sah den schönen Reiter an.
Und einmal, als wir auf dem Wege nach Hause waren und mich die Mutter an der Hand führte und ich immer drei Schritte machen musste, sooft sie einen tat, warf ich meinen kleinen Kopf auf zu ihrem guten Angesichte und fragte: »Warum steht denn der Reiter allfort auf der Wand oben und warum reitet er nicht zum Fenster hinaus auf die Gasse?«
Da antwortete die Mutter: »Weil du so kindische Fragen tust und weil es nur ein Bildnis ist, das Bildnis des heiligen Martin, der, ein Soldat, ein sehr guttätiger frommer Mann gewesen und jetzt im Himmel ist.«
»Und ist das Ross auch im Himmel?«, fragte ich.
»Sobald wir zu einem rechten Platz kommen, wo wir rasten können, so will ich dir vom heiligen Martin was erzählen«, sagte die Mutter und leitete mich weiter und ich hüpfte neben ihr her. Da wartete ich schon sehr schwer auf das Rasten und in einem fort rief ich: »Mutter, da ist ein rechter Platz!«
Erst als wir in den schattigen Wald hineinkamen, wo ein platter, moosiger Stein lag, fand sie’s gut genug, da setzten wir uns nieder. Die Mutter band das Kopftuch fester und war still, als habe sie vergessen, was sie versprochen. Ich starrte ihr fort und fort auf den Mund, dann guckte ich wieder zwischen den Bäumen hin und mir war ein paarmal, als hätte ich durch das Gehölz den schönen Reitersmann reiten gesehen.
»Ja, mein Bübel«, begann meine Mutter plötzlich, »allzeit soll man den Armen Hilfe reichen um Gottes willen. Aber so, wie der Martin gewesen, traben heutzutag’ nicht viel Herrenleut’ herum auf hohem Ross. – Dass im Spätherbst der eiskalte Wind über unsere Schafheide streicht, das weißt wohl, hast dir ja selber drauf im vorig’ Jahr schier die Händchen erfroren. Siehst du, genau eine solche Heide ist’s auch gewesen, über die der Reitersmann Martinus einmal geritten an einem späten Herbstabend. Steinhart ist der Boden gefroren und das klingt ordentlich, sooft das Ross seinen Huf in die Erden setzt. Die Schneeglöcklein tänzeln umher, kein einziges vergeht. Schon will die Nacht anbrechen und das Ross trabt über die Heide und der Reitersmann zieht seinen weiten Mantel zusammen, so eng es halt hat gehen mögen. Bübel, und wie er so hinfährt, da sieht er auf einmal ein Bettelmännlein kauern an einem Stein; das hat nur ein zerrissenes Jöpplein an und zittert vor Kälte und hebt sein betrübtes Auge auf zum hohen Ross. Hu, und wie das der Reiter sieht, hält er an sein Tier und ruft zum Bettler nieder: Ja, du lieber armer Mann, was soll ich dir reichen? Gold und Silber hab ich nicht und mein Schwert kannst du nimmer brauchen. Wie soll ich dir helfen? – Da senkt der Bettelmann sein weißes Haupt nieder gegen die halb entblößte Brust und tut einen Seufzer. Der Reiter aber zieht sein Schwert, zieht seinen Mantel von den Schultern und schneidet ihn mitten auseinander. Den einen Teil des Kleidungsstückes lässt er hinabfallen zu dem armen zitternden Greise: Hab vorlieb damit, mein Not leidender Bruder! Den andern Teil des Mantels schlingt er, so gut es geht, um seinen eigenen Leib und reitet davon.«
So hatte meine Mutter erzählt und dabei mit ihrem eiskalten Herbstabende den schönen Hochsommertag so frostig gemacht, dass ich mich fast schauernd an ihr Busentuch schmiegte.
»’s ist aber noch nicht ganz aus, mein Kind«, fuhr die Mutter fort, »wenn du es nun gleichwohl weißt, was der Reiter mit dem Bettler in der Kirche bedeutet, so weißt du’s noch nicht, was weiter geschehen ist. Wie der Reitersmann nachher in der Nacht daheim auf seinem harten Polster ruhsam schläft, kommt derselbige Bettler von der Heide zu seinem Bett, zeigt ihm lächelnd den Mantelteil, zeigt ihm die Nägelwunden an den Händen und zeigt ihm sein Angesicht, das nicht mehr alt und kummervoll ist, das strahlet wie die Sonnen. Derselbe Bettelmann auf der Heid’ ist der lieb’ Herrgott selber gewesen. – So, Bübel, und jetzt werden wir weitergehen.«
Da erhoben wir uns und stiegen den Bergwald hinan.
Bis wir heimkamen, waren uns zwei Bettelleute begegnet; ich guckte jedem sehr
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