Als ich unsichtbar war
Stummen selbst bedient werden.
Um ein Gerät unabhängig von anderen Personen handhaben zu können, muss ich in der Lage sein, Schalter zu betätigen, daher bringt mich meine Mutter erneut zu Shakila und einer Physiotherapeutin namens Jill. Nachdem sie mich ein weiteres Mal getestet haben, ermitteln sie die beiden Schalter, mit denen ich vermutlich am besten umgehen kann: Einer, Stiel-Schalter genannt, ist ein kleiner viereckiger Kasten, der in meiner Handfläche liegt und bedient wird, indem ich meine Finger einrolle, um auf die Taste zu drücken. Der andere ist ein Kippschalter, dessen Hebel lang genug ist, um von meiner nicht treffsicheren Hand erwischt zu werden, wenn ich sie in die richtige Richtung schlage.
Zunächst war ich total aus dem Häuschen, als meine Eltern beschlossen, einen bestimmten Apparat für mich zu kaufen. Doch als ich dann feststelle, dass ich ihn nicht haben will, weil dieser schwarze Kasten lediglich ungefähr 250 Wörter und Sätze speichern kann, bin ich unheimlich frustriert. Die Möglichkeit echter Kommunikation wird mir schließlich nur in äußerst beschränktem Maße eröffnet, wenn ich nicht mehr als 250 Aussagen zur Verfügung habe und dabei spüre, dass die Worte in mir grenzenlos sprudeln.
Dann aber wird die südafrikanische Währung plötzlich abgewertet, und meine Eltern müssen den Auftrag für das Gerät stornieren, nachdem es fast doppelt so teuer geworden ist. Stattdessen beschließen sie, mir einen Computer zu kaufen, auf dem Kommunikations-Software installiert werden kann. Dies ist eine mutige Entscheidung, denn niemand sonst in Südafrika benutzt einen solchen Computer. Sprachtherapeuten werden uns nicht helfen können – niemand kann es. Wenn ich also etwas lernen soll, dann ist es einzig und allein die Aufgabe von mir und meinen Eltern; und diese wissen nicht einmal, ob ich überhaupt einen Computer bedienen kann.
Fürs Erste müssen sie klären, welche Software sie kaufen sollen, und wofür sie sich auch immer entscheiden, für mich kann es die Dinge vollkommen verändern. Es ist nervenaufreibend und beglückend zugleich. Und doch sind meine Gefühle sehr zwiespältig: Einerseits begeistert mich der Gedanke, das Kommunizieren zu lernen, andererseits empfinde ich Schuldgefühle, weil ich glücklich bin, nicht den schwarzen Kasten zu bekommen, und schließlich habe ich Gewissensbisse, weil meine Eltern doch so viel Vertrauen in mich gesetzt haben, als sie das Gerät für mich bestellten. Jede Emotion äußert sich anders: Begeisterung lässt mein Herz schneller schlagen, Schuldgefühle verursachen tief im Innersten eine Woge von Übelkeit, und Gewissensbisse machen mir das Herz schwer. Diese Empfindungen unterscheiden sich gewaltig von dem, was ich seit langem verspürt habe – das Gefühl, langsam zu einem grauen Etwas abzustumpfen, um mich selbst davor zu schützen, durch die Monotonie meines Daseins in den Wahnsinn getrieben zu werden.
»Hallo, mein Junge«, sagt mein Vater, wenn er jeden Tag um 6.00 Uhr in mein Zimmer kommt.
Dad ist immer schon angezogen, wenn er mich zurechtmacht. Dann wäscht er mich und zieht mich an, bevor er mich mit dem Rollstuhl in die Küche schiebt, wo ich mit einer Schüssel Getreide gefüttert werde. Danach bekomme ich eine Tasse Kaffee, den ich mithilfe eines Strohhalms trinke. Wenn wir damit fertig sind, werden wir uns bald zum Pflegeheim aufmachen, wie ich weiß. Dad setzt mich dort jeden Morgen auf seinem Weg zur Arbeit ab, und als Letztes, bevor er das Heim verlässt, legt er mir einen Beutel in den Schoß, der saubere Kleidung, Einlagen und Lätzchen enthält, die ich tagsüber brauchen werde, außerdem eine Kühltasche mit Essen und Getränken.
Der Moment, in dem sich die Haustür öffnet, ist immer ein kleiner Nervenkitzel für mich. Immerhin ist die Frage, wie das Wetter wohl sein wird, einer der wenigen nicht vorhersehbaren Bestandteile des Tages. Haben wir einen Kälteeinbruch, oder ist der Himmel bedeckt? Da die Sonne hier sehr viel scheint, erlebe ich nur selten eine Überraschung, aber ich genieße diesen kurzen Moment der Ungewissheit, während mein Vater die Tür öffnet.
Nachdem mich Dad ins Auto gesetzt und den zusammengeklappten Rollstuhl in den Kofferraum gelegt hat, steigt er neben mir ein, schaltet das Radio ein, und dann fahren wir schweigend los. Eine halbe Stunde später erreichen wir das Pflegeheim, wo Dad mich wieder aus dem Auto hebt und in den Rollstuhl setzt. Dann legt er mir den Beutel in den
Weitere Kostenlose Bücher