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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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und von anderen, von denen sie das nicht sagen konnte. Natürlich wusste Kim nicht, dass ich jedes Wort verstand, und ich glaubte, mein Herz müsse vor Freude zerspringen, als ich zusehen durfte, wie sie das Podium betrat, um ihre Abschlussurkunde in Empfang zu nehmen. Außer Virna war sie der einzige Mensch, der zu interpretieren verstand, was ich gelegentlich zu kommunizieren versuchte, da sie besser als die meisten anderen erraten konnte, was ich mochte und was nicht.
    Deshalb vermisse ich Kim auch so sehr, seit sie vor einem Jahr nach England gezogen ist, aber Gott sei Dank habe ich ja noch Virna. In einer Umgebung, in der die Leute ohne jede Anteilnahme über meine physischen Bedürfnisse reden – ob mir kalt oder zu warm ist, ob ich müde oder hungrig bin –, betrachtet sie mich als Person, nicht als leeres Gefäß. Jetzt ist Kim nicht mehr da, um mich in die Arme zu schließen, und Virna ist der einzige Mensch, der mich nicht nur flüchtig und routinemäßig berührt. Andere waschen mich und trocknen mich ab, sie kleiden mich an und bürsten mich ab, doch das ist immer nur funktional, zweckgebunden. Nur Virna berührt mich aus keinem anderen Grund, als meinem abscheuerregenden Körper Linderung zu verschaffen. Sie besänftigt und heilt, sie vermittelt mir das Gefühl, etwas anderes als nur eine abstoßende Kreatur zu sein.
    Ich verstehe, dass mich die Leute nicht liebevoll berühren, weil sie ängstlich sind. Um ehrlich zu sein, ich habe selbst ein wenig Angst vor mir. Wenn ich mich mal im Spiegel sehe, schaue ich schnell wieder weg, denn sonst starrt mich da ein Mann mit glasigen Augen an, mit einem umgebundenen Lätzchen, das seinen Speichel auffängt, und mit Armen, die zur Brust hochgezogen sind wie bei einem Hund, der um einen Knochen bettelt. Diesen Fremden erkenne ich schon kaum, daher verstehe ich, wenn andere Leute ihn nur schwer ertragen können.
    Vor ein paar Jahren war ich bei einem Familienfest, und da hörte ich, wie eine meiner Verwandten über mich sprach, während ich in der Ecke saß.»Schau ihn dir an«, sagte sie traurig. »Ein armes Ding. Was für ein Leben ist das?«
    Ich schämte mich furchtbar, während die Frau den Blick abwendete. Sie hielt es nicht mehr aus, mich anzusehen, und ich wusste, dass ich ihr die Freude an diesem Fest gründlich verdorben hatte. Das war kein Wunder. Wie konnte jemand Spaß haben, wenn er mit einem derart jämmerlichen Anblick konfrontiert wurde?

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    12
Leben und Tod
    J etzt bin ich bereit, die ersten Steigeisen in die Felswand der Kommunikation zu schlagen. Die Schalter, die ich benutzen werde, um einen Computer zu bedienen, sind eingetroffen, und ich habe bereits mit ihnen geübt. Ich weiß, dass sie erheblich mehr sind als nur Schrauben und Muttern, Plastikscheiben oder ein Geflecht aus elektrischen Drähten. Reden, chatten, diskutieren, scherzen, schwätzen, mich unterhalten, verhandeln, klatschen: All dies liegt jetzt im Bereich meiner Möglichkeiten, dank der Schalter. Loben, fragen, danken, anfordern, beglückwünschen, hinterfragen, reklamieren und debattieren: Auch das wird mir bald möglich sein.
    Doch zunächst müssen wir entscheiden, welches Softwareprogramm wir kaufen sollen, daher bestellen meine Eltern verschiedene Demonstrations- CD s aus Europa und Amerika, um sie zu testen. Wochen werden zu Monaten, während meine Mutter Stunden damit verbringt, im Internet nach Webseiten zu suchen, die nur langsam geladen werden. Mein Vater widmet seine Abende dem Studium von Informationen, die er tagsüber auf der Arbeit ausgedruckt hat.
    Ich schaue und höre zu, und dabei komme ich langsam dahinter, was mir am ehesten helfen wird, mich auszudrücken. Wie ein Künstler, der die Farbe so mischt, dass sie die richtige Konsistenz für die Leinwand hat, muss ich die richtige Software wählen. Jetzt, fast sechs Monate nach den ersten Tests, drängen mich meine Eltern, ihnen zu sagen, was ich haben möchte. Sie fragen mich, da sie gesehen haben, dass ich meinen Kopf nicht mehr wie ein geprügelter Hund hängen lasse, nachdem es jetzt interessante Dinge gibt, die ich mir anschauen kann. Hoffnung keimt in meinen Eltern auf, als sie winzige Anzeichen erkennen, was ich eventuell zu leisten imstande bin.
    Ich denke unentwegt darüber nach, wie sich mein Leben verändern wird, sobald wir endgültig entschieden haben, welche Software wir nehmen. Der Gedanke, dass ich vielleicht schon bald meine ›Stimme‹ so oft ich will sagen höre »Ich habe Hunger«,

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