Als ich unsichtbar war
schob einen Hebel nach vorne, und das Flugzeug setzte sich in Bewegung. Schneller und immer schneller raste es über den Linoleumboden meines Klassenzimmers, bis es abhob und in den Korridor flog. Marietta kam auf mich zu, doch ich flitzte um ihren Kopf herum. Ich war zu schnell und zu klein, als dass sie mich hätte sehen können, während ich noch einmal den Hebel bediente und den Düsenjäger nach vorne schießen ließ.
Der Beschleunigungs-Andruck presste mich in den Sitz, und vor mir tauchte ein Servierwagen auf. Ich wusste, eine falsche Bewegung, und die Flügel des Jets würden abrasiert, sodass ich mitsamt der Maschine am Boden zerschellen würde. Doch meine Hand blieb ruhig. Wumm! Auf der anderen Seite des Servierwagens kam ich heraus und raste auf die Flügeltür zu, die nach draußen führte.
Die Türen schlossen sich gerade, als ich sie erreichte, daher legte ich das Flugzeug auf die Seite. Es passte millimetergenau durch den schmalen Schlitz, der mir noch blieb, bevor die beiden Flügel krachend zusammenstießen und ich in die Freiheit davondüste. Der Himmel über mir war blau, und die Außenwelt roch nach Staub und Sonne. Ich ließ den Jet steil nach oben fliegen und wusste, dass ich bald hoch genug sein würde, um auf die Erde unter mir zu blicken: vorbeirauschende grüne Flecken und braune Tupfer. Ich drückte den Hebel bis zum Anschlag durch – volles Rohr, Überschall, maximale Geschwindigkeit –, und schon schoss die Maschine korkenzieherartig in den Himmel. Wieder und wieder wurde ich herumgewirbelt.
In meinem Kopf drehte es sich, doch ich fühlte mich leicht. Ich begann zu lachen.
Verstanden, Ende! Ich war endlich frei.
Auf der Schnellstraße unter mir wimmelte es von Autos, und die Menschen fuhren von ihren Arbeitsplätzen in den Feierabend. Ich wusste, wohin mich die Straßen führten, wenn ich ihnen folgte – nach Hause.
Im Heim auf dem Land lag ich im Bett und dachte an die nahe gelegenen Bahngleise. Ich stahl mich nach draußen und rannte durch das hohe braune Gras des Hochlands von Südafrika. In der Ferne sah ich einen Zug ankommen, der verschlissene Güterwagen hinter sich herzog, manche mit Planen abgedeckt, andere offen und beladen mit glitzernder schwarzer Kohle. Ich rannte auf den Zug zu und erwischte gerade noch den letzten Waggon, bevor er am Horizont verschwinden konnte. Ich hatte keine Ahnung, wohin mich der Zug bringen würde. Mich interessierte nur, dass es mir gelungen war, das Heim hinter mir zu lassen.
Wasser war etwas, von dem ich besonders gerne träumte. In meinen Fantasien rauschte es in jeden beliebigen Raum hinein, in dem ich gerade saß, hob mich hoch und trug mich auf einem Wellenkamm davon. Im Wasser konnte ich tauchen und verschwinden, mein Körper war frei und kräftig. Oder ich stellte mir vor, meinem Rollstuhl seien James-Bond-Flügel gewachsen und ich würde in den Himmel aufsteigen, während das Pflegepersonal mir mit offenem Mund nachstarrte und keine Möglichkeit hatte, mich am Davonfliegen zu hindern.
In meiner Fantasiewelt war ich immer noch das Kind, das ich zu Beginn meiner Krankheit gewesen war. Als ich älter wurde, änderte sich nur, dass ich mich als weltberühmten Cricketspieler sah, da ich zunehmendes Interesse für diesen Sport entwickelte, nachdem ich gesehen hatte, mit welcher Begeisterung sich Dad und David die Übertragungen im Fernsehen anschauten.
Mein Bruder war sehr gut im Cricket und berichtete Mam, Dad und Kim von seinem letzten Spiel, wenn er nach Hause kam. Ich wollte etwas mit ihm teilen. David brachte mich immer zum Lachen, indem er mir Witze erzählte, ulkige Stimmen nachahmte oder mich kitzelte, daher begann auch ich, Übertragungen von Spielen im Radio oder Fernsehen gespannt zu verfolgen.
Bald konnte ich Tage und Wochen damit verbringen, mir in meinem Kopf Spiele vorzustellen. Das begann immer damit, dass ich in einem leeren Umkleideraum saß und meine Schuhe zuschnürte, bevor ich ins Sonnenlicht hinaustrat. Während ich auf das Spielfeld ging, rieb ich den Ball an einem Hemdzipfel und prüfte, ob er sauber und glänzend genug war. Dann fasste ich den Schlagmann ins Auge, derweil die Menge verstummte. Dass mich so viele Zuschauer beobachteten, irritierte mich nicht. Mein einziger Gedanke konzentrierte sich darauf, Anlauf zu nehmen und den Ball zu spüren, der rund und fest in meiner Hand lag, bevor ich ihn in Richtung des Schlagmanns schleuderte.
Ein kirschroter Blitz zischte durch die Luft, wenn der Ball meine Hand
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