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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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dann geschah es gleich mehrfach hintereinander. Dies war viel schlimmer für mich, denn ich wusste nie, wann und was sie tun würde. Nichts machte mich machtloser, als darauf zu warten, dass sie wiederkommen würde. Die Angst davor, was sie tun würde, wenn ich sie das nächste Mal zu Gesicht bekam, kroch in mir hoch, während ich mich fragte, ob ich diesmal verschont bliebe oder nicht. Die Furcht warf einen Schleier über meine Tage. Ich wusste, dass ich sie nicht aufhalten oder meine Stimme erheben konnte. Ich war nichts weiter als ein nicht reagierendes Objekt, das sie benutzte, wie und wann sie wollte, eine leere Leinwand, auf die sie ihre dunklen Gelüste malte. Und so saß ich da, wartete und lauschte, bis ich wieder ihre Stimme hörte. In dem Moment aber wusste ich, dass ich mir nie sehnlicher wünschen würde, laufen zu können.
    »Hallo, Martin«, sagt sie lächelnd und schaut auf mich hinab.
    Ich starre sie an. Mir dreht sich der Magen vor Angst und Übelkeit um. Ich fühle, wie sich in mir ein Schrei ausbreitet, wie eine Fahne, die im Wind flattert, doch ich kann ihn nicht rauslassen.
    »Auf geht’s!«, sagt sie, und ich spüre, dass sich mein Rollstuhl bewegt.
    Sie bringt mich in einen Raum, wo uns niemand finden wird, und legt mich auf eine Bank. Dann hebt sie einen Fuß über mich hinweg und stellt ihn neben mich, während sie den andern Fuß auf dem Boden stehen lässt und ihr Kleid hochzieht. Sie lässt sich sacken, presst sich gegen den großen Zeh meines linken Fußes und beginnt sich rhythmisch zu bewegen. Ich versuche abzutauchen.
    Später liege ich reglos da, während sie neben mir sitzt. Sie liest in einer Zeitschrift, blättert geistesabwesend darin herum und bohrt in der Nase. Schließlich blickt sie auf ihre Uhr und steht auf. Doch als sie schon im Gehen ist, dreht sie sich plötzlich um. Offenbar hat sie etwas vergessen.
    Ich beobachte, wie sie mit ihrem Finger auf dem Ärmel meines T-Shirts entlangfährt und etwas abwischt. Eine Schleimspur glitzert auf dem Stoff. Jetzt ist ihre Verachtung komplett.
    Manchmal liegt sie neben mir, zuweilen auch auf mir. Manchmal berührt sie sich selbst, dann wieder mich. Doch was immer geschieht, ich bedeute ihr nichts, bleibe vergessen, bis ihr einfällt, mich heimzusuchen. Ich hingegen vergesse sie nie. Sie ist ein Monster, das in meinen Träumen haust, mich verfolgt und kreischt, mich foltert und in Schrecken versetzt. Nacht für Nacht wache ich schwitzend und angsterstarrt auf, nachdem sie wieder im Schlaf zu mir gekommen ist. Sie ist ein Parasit, der sich in meine Seele gebohrt hat. Wenn ich im Dunkeln in meinem Bett liege, frage ich mich, ob ich sie jemals loswerde.

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    37
Fantasien
    Z u jener Zeit war ich stärker als je zuvor auf meine Einbildungskraft angewiesen. Wenn meine Fantasiewelt ein stets wiederkehrendes Thema besaß, dann war es Flucht, denn ich konnte alles sein, was ich mir zutraute und sogar noch mehr: nicht nur Pirat, sondern auch Pilot, Weltraumganove oder Formel-1-Fahrer, Wassergeist und Geheimagent, oder Jedi-Ritter mit der Macht des Gedankenlesens.
    Manchmal saß ich im Klassenzimmer des Pflegeheims in meinem Rollstuhl und hatte das Gefühl, zu schrumpfen, sobald ich die Welt hinter mir ließ. Während der Rollstuhl größer und größer wurde, wurde ich immer kleiner, bis ich die Größe eines Spielzeugsoldaten hatte, so winzig, dass ich in den Düsenjäger passte, der in der Zimmerecke auf mich wartete. Jeder andere mochte ihn für ein Spielzeug halten, ich alleine wusste, dass es ein Kampfflugzeug war, und es stand dort startklar für mich mit laufenden Turbinen.
    In meinen Träumen war mein Körper immer kraftstrotzend. Ich sprang aus meinem Rollstuhl, schaute mich suchend um und lauschte auf näher kommende Schritte. Falls mich jemand sehen sollte, würde er einen Schreck bekommen. Ich war bereit zum Kampf. Vielleicht glaubte man, ich sei ein Produkt ihrer Fantasie, doch das war ich nicht, ich war real. Ich stieß mich vom Rollstuhl ab, landete mit einem gedämpften Aufprall auf dem Fußboden und schaute an mir hinunter: Mein T-Shirt und die Shorts waren verschwunden, und ich trug einen grauen Pilotenanzug. Es raschelte, als ich zum Düsenjäger rannte, die Treppe zur Kabine hochstieg, mich hinter die Steuerelemente klemmte und meinen Helm aufsetzte. Die Turbinen heulten, und vor mir blinkten Lichter auf, doch mir bereitete das keine Sorgen. Ich wusste, weshalb sie leuchteten, denn ich war ein erfahrener Kampfpilot.
    Ich

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