Als ich unsichtbar war
warteten.
»Ich fühle mich, als hätte man mir einen Arm amputiert«, schluchzte GD , und ich wusste, dass ihm das Herz brach, weil ihm die Frau, die er all die Jahre so sehr geliebt hatte, genommen war.
Ihre Liebe hatte ein Leben lang gedauert; ihre Lebensgeschichten waren so eng miteinander verknüpft, dass sie vergessen hatten, wo die eine endete und die andere begann. Überall in diesem Haus fanden sich winzige Hinweise auf ihre Liebe, selbst in den profansten Dingen wie beispielsweise dem Wintermantel, der in Mimis Kleiderschrank hing. GD hatte ein Heidengeld für seine Frau ausgegeben, da er Angst hatte, ihr könne kalt werden.
Ein paar Tage später sprach Dad bei Mimis Beerdigung über die Liebe, die sie ihren Kindern geschenkt hatte. Als er noch klein war, so erzählte er der Trauergemeinde, habe seine Mutter ihm seine Sachen mit ›Liebesmaschen‹ gestrickt, und ihre ruhige, stille Gegenwart habe ihn immer begleitet. Und als kleiner Junge, als er seiner Mutter beim Einwecken von Pfirsichen geholfen habe, hätte er ihr aus Versehen kochend heißen Saft über die Hand geschüttet, sodass sich darauf sofort Blasen gebildet hätten, doch sie sei weder verärgert gewesen, noch habe sie geschimpft. Stattdessen habe sie die Blasen unter fließendes kaltes Wasser gehalten, sich einen Verband gemacht und einfach weitergearbeitet.
Während ich meinem Vater zuhörte, wurde mir klar, dass ich eine weitere Lektion über die Liebe bekam, die ich zwischen Männern und Frauen gesehen hatte: Manchmal war sie spielerisch wie bei Henk und Arrietta, manchmal friedlich wie bei Ingrid und Dave, doch wenn man Glück hatte, konnte sie wie bei GD und Mimi ein ganzes Leben halten. Diese Art von Liebe kann von einem Menschen auf den anderen übertragen werden, wie eine Lebenskraft, die jeden ermutigt, der von ihr berührt wird, und die Erinnerungen schafft, die auch nach Jahren noch tief in einem brennen.
Diese Art von Liebe hatte mein Vater erfahren, und während er jetzt sprach, wusste ich, dass er seine Mutter im Geiste genau so klar vor Augen hatte wie zu ihren Lebzeiten. Während er sich an diese Begebenheiten aus seiner Kindheit erinnerte, spürte er ihre Berührung und hörte ihre Stimme, als wäre er wieder der kleine Junge, der an dem Tag, als er mit seiner Mutter Pfirsiche einweckte, von ihrer Liebe eingehüllt wurde.
----
41
Leben lieben und Liebe leben
D ie Wellen rollen auf den Strand zu, während der salzige Wind den Duft von Brathähnchen heranträgt. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, und ich gönne mir ein weiteres Stück Fleisch. Es schmeckt köstlich!
Es ist Dezember 2006, und ich sitze mit meinem Freund Graham am Rande eines Strands in Kapstadt. Er benutzt ebenfalls AAC , nachdem er vor mehr als zwei Jahrzehnten einen beidseitigen Hirnstamminfarkt erlitten hatte, während er auf einer Insel vor der Küste Südafrikas arbeitete. Nachdem man ihn in ein Krankenhaus geflogen hatte und er wieder aufwachte, wurde ihm mitgeteilt, er sei von den Augen abwärts gelähmt. Damals war er fünfundzwanzig.
Heute kann Graham sich weder bewegen noch sprechen, dennoch lebt er sein Leben und brüllt jeden wie ein Löwe an, der es bezweifelt. Körperlich in vollem Umfang von anderen abhängig, weigerte er sich, nach Hause zurückzukehren und sich von seiner Mutter pflegen zu lassen, wie man es von ihm erwartet hatte. Schließlich lebte sie auf der anderen Seite des Landes, und Graham wollte weiter in Kapstadt bleiben. So begab er sich in ein Pflegeheim, in dem er heute noch wohnt, und ich bin bisher niemandem begegnet, dessen Lebenslust so ansteckend ist wie seine.
Er genießt jede Minute seines Lebens und verstößt mit Vorliebe gegen Vorschriften: Ich bin ziemlich sicher, dass er gleich fragen wird, ob er einen Happen Brathähnchen bekommen kann, obwohl er kein festes Essen zu sich nehmen soll. Ich habe Verständnis für diese Art Verlangen, das zu stark ist, als dass man sich ihm widersetzen könnte. »Man kann doch nicht alles tun, was die Ärzte von einem fordern«, antwortet er jedem, der vielleicht Einwände äußert. Er erzählte mir, es sei nicht so sehr der Geschmack, sondern der physische Akt des Kauens und Schluckens, nach dem er schmachtet. Deshalb wird der ärztliche Rat von Zeit zu Zeit in den Wind geschlagen, indem er einen kleinen Happen fester Nahrung zu sich nimmt.
Wir begegneten uns vor ungefähr achtzehn Monaten bei einem Kongress, und ich bin jetzt hier in Kapstadt, weil wir morgen bei einer
Weitere Kostenlose Bücher