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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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bei, mir die Socken auszuziehen, und jetzt hat er solchen Geschmack daran gefunden, dass er jedes Paar klaut, das er im Wäschekorb findet. Beim Einüben von Dingen im häuslichen Bereich kam die Idee auf, ihm das Bedienen der Türklingel beizubringen, woraufhin er es sich zur Gewohnheit machte, für einige Zeit zu verschwinden und uns dann später stolz mitzuteilen, er sei wieder zurück.
    Welche Unzulänglichkeiten er auch immer haben mag, Kojak ist das, was ich mir von ihm erhofft hatte: ein Kumpel, der mich mit seiner unermüdlichen Fröhlichkeit und seinem liebenswerten Naturell immer zum Lachen bringt. Er kann Fehler haben, wie er will, seine Gegenwart hat meine Welt zu einem sehr viel erfreulicheren Ort gemacht.

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GD und Mimi
    M eine Großeltern, GD und Mimi, erklärten mir die vielleicht wichtigste Sache über die Liebe: Wenn es wahre Liebe ist, dann dauert sie ein ganzes Leben, und wenn sie stark genug ist, kann sie von einer Generation auf die nächste übertragen werden.
    Mein ganzes Leben lang hatte ich Geschichten über GD und Mimi gehört: dass GD im Alter von sechzehn Jahren eine Tapferkeitsmedaille bekam, nachdem er sich von einem Felsen ins Meer gestürzt hatte, um eine Frau zu retten, die zu ertrinken drohte, und dass Mimi als junges Mädchen eine so begeisterte Tänzerin war, dass sie kilometerlange Reisen auf sich nahm, um an Tanzveranstaltungen teilzunehmen. GD machte eine Lehre als Minenarbeiter, als sie sich kennenlernten, und er fuhr die 50 Kilometer mit dem Fahrrad, um Mimi zu besuchen. Er war so entschlossen, ihr ein angenehmes Leben zu bieten, nachdem sie versprochen hatte, ihn zu heiraten, dass er sieben Fortbildungskurse im Bergbau absolvierte, um sich als Führungskraft zu qualifizieren. GD war das jüngste von sechzehn Kindern und Mimi das älteste von vier, und so war es wohl selbstverständlich, dass sie selbst auch Kinder haben wollten. Es dauerte nicht lange, da gab es meinen Vater und dessen zwei Schwestern. Während Mimi ihren Töchtern den Charleston beibrachte und den Haushalt versorgte, baute GD ein Haus für seine Familie, damit sie aus der Bergarbeitersiedlung fortziehen konnten.
    Meine Großeltern lebten fast sechzig Jahre glücklich zusammen, und das änderte sich auch nicht, nachdem Mimi sich durch einen Sturz die Hüfte gebrochen hatte und fortan ans Bett gefesselt war, kurz nachdem ich das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Sie konnte nie wieder gehen, doch von ihrem behaglichen Bett aus kommandierte Mimi die Versorgung ihres Haushalts wie ein Oberstabsfeldwebel. GD wurde gesagt, was er einzukaufen, wie und was er zu kochen, und wann er seine Herztabletten einzunehmen hatte. Er hatte kein Ohr für die ironischen Bemerkungen seiner ›alten Kumpel‹, wenn er sie im örtlichen Seniorenheim besuchte.
    Ich liebte meine Großeltern sehr. Jedes Mal, wenn wir sie besuchten, wurde mein Rollstuhl neben Mimis Bett gestellt, sodass sie meine Hände fassen konnte. Während ich auf ihre hauchdünne Haut starrte, die so zerbrechlich wirkte, dass ich immer glaubte, sie müsse gleich zerreißen, fragte ich mich, ob ich wohl so alt werden könnte wie sie. Doch dann, als ich dreiundzwanzig war, wurde Mimi krank, und diesmal konnte man ihr nicht mehr helfen. Sie wurde von Tag zu Tag schwächer, und wenn ich neben ihrem Bett saß, sah ich, wie sie immer wieder das Bewusstsein verlor.
    Mein Großvater schien nicht mehr weiterzuwissen. Es war während unseres letzten Besuchs, dass ich ihn zu meinem Vater sagen hörte, was er sich über alles in der Welt wünschte.
    »Ich würde gerne noch ein allerletztes Mal neben ihr schlafen«, sagte GD , da ihm dies nicht mehr erlaubt wurde, weil Mimis Zustand sich dramatisch verschlechtert hatte.
    Zwei Tage später klingelte bei uns das Telefon, und Dad nahm ab. Leise sprach er ein paar Sätze, bevor er wieder auflegte.
    »Mimi ist gestorben«, sagte er, und ich sah, wie er mit hinter dem Kopf verschränkten Händen den Flur entlangging, als versuche er die Nachricht, seine Mutter verloren zu haben, in den Schädel zu bekommen.
    Mich erfüllte Trauer und Mitleid mit meinem Vater, als er mich ins Auto setzte und zu seinem Elternhaus fuhr, um Mimi noch ein letztes Mal zu sehen. Als wir dort ankamen, lag sie auf dem Bett, und mein Vater küsste sie, während ich zusah. Natürlich wusste niemand, dass ich alles verstand, was dort gesagt wurde, und ich hätte GD gerne getröstet, als er weinte und wir alle gemeinsam auf den Bestattungsunternehmer

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