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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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Strohhalm reichte und mich bat, durch ihn hindurchzublasen, wie sie es wohl von einem Patienten verlangte, der eine Atemübung machte. Diesen Frauen hätte ich gerne gesagt, dass ich kein kastrierter Hund bin, der nicht bellen oder beißen kann; wie sie habe auch ich Sehnsüchte und Gefühle.
    Kurz nach meiner Rückkehr aus Israel begegnete ich einer Frau, die meine Aufmerksamkeit erregte wie andere Frauen zuvor, und erneut machte ich mir Hoffnungen. Ich wollte mir weismachen, der Professor habe unrecht. Was wusste er denn schon? Diesmal war ich mir sicher, dass das Interesse dieser Frau an mir echt war, und mein Herz pochte wie wild, als wir eines Abends ausgingen, um Pizza zu essen und zu klönen. Für ein paar Stunden fühlte ich mich so normal wie jeder andere. Dann schickte mir die Frau eine E-Mail und teilte mir mit, sie habe einen neuen Freund, und ich war wieder am Boden zerstört.
    Ich war ein unglaublicher Idiot. Wie konnte ich nur hoffen, eine Frau würde mich lieben? Weshalb sollte sie? Ich weiß, dass ich zu empfindlich bin und mich viel zu schnell in Schmerz und Traurigkeit ergehe. Es macht mich neidisch, Leute meines Alters zu sehen, die ihre Teenager-Jahre hatten, in denen sie vom Leben gebeutelt wurden und lernen mussten, sich nach dessen Gesetzen zu verhalten. Sosehr ich mich auch bemühe, mich nicht davon beeinträchtigen zu lassen, so finde ich es dennoch fast unmöglich, einfach hinzunehmen, dass der Wunsch nach Liebe, der so heftig in mir brennt, niemals erwidert werden sollte.
    Jetzt schaue ich aufs Meer hinaus und beobachte, wie die Wellen sich im Sand brechen, und ich erinnere mich an ein Ehepaar, das zu einem der offenen Tage im Kommunikations-Institut kam, bei denen ich als Gastgeber fungiere. Sie fielen mir sofort auf, denn der Mann, der mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern erschienen war, hatte ungefähr mein Alter, und das Paar vermittelte mir – von der Art, wie sie Blicke tauschten, bis zu kleinen Gesten und dem Lächeln, das so viel verriet –, dass sie sich sehr liebten.
    »Mein Mann hat einen Gehirntumor im Endstadium und verliert seine Sprachfähigkeit«, flüsterte mir die Frau zu, während sich ihr Mann einige Geräte anschaute, die wir ausgestellt hatten. »Aber wir möchten so lange miteinander reden, wie es irgend geht, deshalb sind wir heute gekommen, um zu sehen, ob sie uns helfen können. Er will Video-Aufzeichnungen mit einer Botschaft für unsere Kinder machen, solange er noch dazu in der Lage ist, und ich glaube, für mich will er auch eine anfertigen.«
    Plötzlich erstarrte ihre Miene. »Ich bin noch nicht bereit, ihn gehen zu lassen«, flüsterte sie.
    Verzweiflung huschte über ihr Gesicht, als sie an die Unsicherheit einer Zukunft ohne jenen Mann dachte, an den sie ihr Leben gebunden hatte.
    »Meinen Sie, Sie könnten uns helfen?«, fragte sie leise.
    Ich nickte, und sie drehte sich um und ging zu ihrem Mann zurück. Traurig sah ich ihr hinterher. Wie konnte eine Familie, in der es so viel Liebe gab, zerrissen werden? Dann kam ein anderes Gefühl in mir auf, eine Form von Neid, denn als ich sah, wie sich der Mann und die Frau zulächelten, wurde mir klar, dass die beiden die Chance gehabt hatten, so zu lieben und geliebt zu werden, wie ich es mir sehnlichst wünschte.

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    42
Welten prallen aufeinander
    M eine Mutter lächelt die Physiotherapeutin an, die mich aus ihrem Behandlungsraum schiebt. Ich habe es satt, hier Woche für Woche erscheinen zu müssen, hochgehoben und ermuntert zu werden, mich mit schwankenden Schritten auf meinen schmerzenden Füßen und Beinen zu bewegen. Trotzdem tue ich es, denn meine Eltern haben nie die Hoffnung aufgegeben, mich irgendwann doch noch gehen zu sehen. Manchmal habe ich den Verdacht, meine Familie erinnert sich an den Jungen, der ich früher einmal war, und sie vermisst ihn, weswegen meine Eltern immer so versessen darauf sind, dass ich gehen soll, und weshalb sie wollten, dass ich statt einer Alphabetvorlage meine computergenerierte Stimme zum Sprechen benutzen soll.
    Sie sind nur schwer davon zu überzeugen, dass sich mein Körper unkalkulierbar verhält: Wenn ich an einem Tag aufstehen kann, heißt das noch lange nicht, dass es mir auch am nächsten gelingen wird. Zuweilen habe ich das Gefühl, meine Eltern fast zu enttäuschen, weil ich körperlich nicht die Fortschritte mache, die sie sich von mir erhoffen, doch ich weiß, dass das bei Eltern häufig der Fall ist.
    Als vor einiger Zeit ein Junge zu uns ins

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