Als ich unsichtbar war
Kommunikations-Institut kam, um untersucht und getestet zu werden, sagten wir seiner Mutter, er müsse lernen, mittels eines Kopfschalters zu kommunizieren, da sein Hals und Genick die einzigen Körperteile waren, die er stabilisieren konnte. Doch seine Mutter blieb hartnäckig: Sie wollte, dass ihr Sohn die Hände benutzt, nicht den Kopf. Er sollte sich auf Teufel komm raus anpassen, sollte so sein wie alle anderen, auch wenn es nur einen noch so kleinen Bereich betraf.
Ich verstehe, weshalb meine Eltern möchten, dass ich gehe und spreche, aber es ist anstrengend, in einem Körper zu leben, der einem das Gefühl vermittelt, alle anderen könnten über ihn bestimmen. Deshalb sagte ich meiner Mutter gestern, ich wolle diese Woche nur ein Mal zur Physiotherapie, und jetzt hoffe ich, dass sie sich an die Vereinbarung hält.
»Wollen wir einen Termin für Freitag machen?«, fragt die Physiotherapeutin.
Ich starre meine Mutter an und versuche sie daran zu erinnern, was ich gesagt habe.
»Ja«, sagt sie, ohne mich anzuschauen.
Ich spüre, wie der Zorn heiß in meinen Adern brennt. Morgen werde ich mich bei meiner Kollegin Kitty wütend darüber auslassen, was hier gerade gelaufen ist.
»Was soll die ganze Kommunikation, wenn mir niemand zuhört!«, werde ich sagen. »Weshalb rede ich überhaupt, wenn sich die Leute nach all den Jahren weigern, zuzuhören, was ich sage?«
Dennoch schlucke ich meinen Ärger vorerst herunter, um zu verhindern, dass er hier allen die Laune verdirbt. Denn so groß er auch sein mag, die Angst, meine Wut einfach rauszulassen, ist noch größer. Zorn ist eines der Gefühle, das ich immer noch fast gar nicht zeigen kann, weil ich mich so lange zwingen musste, meine Wut zu unterdrücken. Selbst jetzt wird es mir wahrscheinlich nicht gelingen, sie zu zeigen, denn einerseits bin ich durch die Monotonie meiner computergenerierten Stimme in meiner Ausdrucksweise eingeschränkt, und andererseits hindert mich die permanente Angst, andere vor den Kopf zu stoßen. Nachdem ich so lange Zeit als Außenseiter verbracht habe, möchte ich jetzt nichts tun, das mich wieder in diese Rolle treiben könnte.
Langsam wird mir bewusst, dass ich vor vielen Dingen Angst habe: Ich habe die Befürchtung, etwas falsch zu machen, jemanden zu beleidigen oder meine Arbeit nicht gut genug zu verrichten; ich bin besorgt, ich könnte jemandem auf die Füße treten, ich sei einer Sache nicht gewachsen, die von mir verlangt wird, oder ich könnte eine Meinung äußern, die mit Sicherheit belächelt wird. Dieses Gefühl beherrscht mich praktisch die ganze Zeit, und das ist der Grund, weshalb ich meiner Mutter auch sechs Jahre nach meinen ersten Kommunikationsversuchen noch immer nicht sage, was ich wirklich denke.
Es gibt aber noch eine andere Welt, in der ich mich bewege. In dieser Welt wurde ich einer der beiden ersten Südafrikaner ohne Sprachvermögen, denen es gelang, einen Universitätskurs zu besuchen und mit einem Hochschulabschluss zu beenden. Ich wurde auserwählt, Präsident Thabo Mbeki zu treffen. Ich habe zu Hunderten Menschen gesprochen und werde von meinen Kollegen respektiert.
Auch wenn meine Familie und die Freunde mein Lebensmittelpunkt sind, so bleibe ich in meinem Privatleben in vielerlei Hinsicht doch ein passives Kind, das gewaschen und im Rollstuhl geschoben wird, dem man zulächelt und das man zuweilen beiseiteschiebt, wie ich es so oft erlebt habe. Meine Eltern kümmern sich weiterhin um meine körperlichen Bedürfnisse, schirmen mich gegen viele Widrigkeiten aus der Außenwelt ab, die mich vielleicht verletzen könnten; aber mir wäre es lieber, wenn sie mir manchmal mehr zuhören würden. Bei meiner Schwester Kim habe ich zuweilen das Gefühl, als sei ich für sie eher ein Rehabilitations-Projekt als ein Bruder, wenn sie bei ihren Besuchen neue Sachen aus England mitbringt: rutschfeste Matten für das Badezimmer oder Plastikränder, die verhindern, dass das Essen von meinem Teller fällt. Für andere bin ich ein gelegentliches Wohltätigkeits-Objekt, jemand, der festgebunden werden muss, oder der stumme Mann, der freundlich lächelnd in einer Ecke sitzt. Alles zusammengenommen habe ich das Gefühl, als habe ich kein Recht auf Leben, als müsse ich ständig um Erlaubnis bitten, aus Angst davor, etwas Falsches zu tun. Die Vergangenheit wirft immer noch ihren Schatten auf mich.
Ich würde gerne rebellieren, aber ich weiß nicht wie. Früher standen mir alberne, hinterlistige Mittel zur Verfügung,
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