Als ich unsichtbar war
und ich entsinne mich der grimmigen Befriedigung, als ich sah, wie meine Beinschienen den Lack am Auto meiner Mutter zerkratzten. Ich musste sie nach einer besonders schmerzhaften Operation tragen, daher fand ich großen Gefallen an meinem unbeabsichtigten Akt der Rebellion, als mir Mam aus dem Wagen half.
Heute könnte ich solch böses Verhalten weder rechtfertigen, noch kann ich anderen Leuten die ganze Schuld an meiner Frustration zuschieben.
Ich weiß, dass man sich so viel Freiheit nimmt, wie einem geboten wird, und ich muss lernen, meine Freiräume einzufordern, aber häufig frage ich mich, ob ich jemals den Mut aufbringen werde, es zu tun.
Wir schreiben das Jahr 2007, und Anfang des Jahres habe ich meinen Job beim Kommunikations-Institut aufgegeben und arbeite nun ganztags beim Wissenschaftlichen Forschungsinstitut. Es ist ein gewaltiger beruflicher Aufstieg – ein Glücksfall, wie er Leuten wie mir im Normalfall nie geboten wird.
Da jeder an meinem neuen Arbeitsplatz ermutigt wird, sich fortzubilden, stellte ich den Antrag, nebenbei ein Examen an der Universität abzulegen, doch mir wurde gesagt, ich müsse erst den Abschluss der Highschool vorweisen. Niemand ging auf mich ein, auch wenn ich geduldig zu erklären versuchte, dass ich in einem anderen Universitätskurs gerade als einer der Besten meinen Abschluss gemacht hatte. Der Berg, den ich bezwungen hatte, um meine Qualifikation zu erreichen, wurde plötzlich bedeutungslos, als ich mich um etwas anderes bewarb, wo wieder eigene Gesetze galten.
So büffle ich nun jede Nacht nach der Arbeit, um meinen Highschool-Abschluss zu machen, was normalerweise Sechzehnjährige tun. Und ich frage mich, ob der Versuch, im Leben voranzukommen, überhaupt einen Sinn hat, wenn das Gewicht all jener Dinge, die mich hindern, dermaßen schwer erscheint, dass es mich immer wieder nach unten zieht. Angesichts all dessen befürchte ich, bald so eingeschüchtert zu sein und so große Zweifel zu haben, überhaupt einen Platz im Leben verdient zu haben, dass ich nicht mehr die Kraft aufbringen werde, mir diesen Platz zu erkämpfen.
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Fremde
E rst als ich am Leben verzweifelte, erkannte ich, dass wir keine Stricke und Ketten brauchen, um an diese Welt gefesselt zu sein – selbst die unscheinbarsten Dinge können die Verbindung aufrechterhalten.
Es war 1998, und ich war zweiundzwanzig Jahre alt. Sechs lange Jahre zuvor hatte ich das Bewusstsein wiedererlangt, und ich war damals davon überzeugt, niemand werde je bemerken, dass ich mich aus meinem Geisterhaus befreit hatte. Nach so vielen Jahren vergeblichen Hoffens, vielleicht doch gerettet zu werden, hatte der Gedanke, der zermürbenden Monotonie meines Daseins niemals entfliehen zu können, dafür gesorgt, dass ich innerlich total dichtmachte. Ich wollte nur noch, dass mein Leben endete, und fast erfüllte sich dieser Wunsch, als ich ernstlich an Lungenentzündung erkrankte.
Ich erfuhr, dass ich in das verhasste Pflegeheim auf dem Land geschickt werden sollte, und das brachte mich schließlich dazu, aufzugeben. Ich erinnere mich, wie meine Eltern uns alle zu einem Besuch bei Freunden mitnahmen. Während meine Mutter mich mit dem Mittagessen fütterte, wusste ich, dass ich nichts unternehmen konnte, um den anderen zu zeigen, wie verzweifelt ich war, wieder weggeschickt zu werden. Meine Familie ahnte nichts von meinem inneren Kampf, alles um mich herum plauderte und lachte.
In der Woche darauf begann meine Nase zu laufen, und mein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Meinen Eltern war bald klar, dass es sich um mehr als eine Erkältung handelte, als meine Temperatur stieg und ich mich immer wieder übergeben musste. Dann wurde ich so krank, dass mich meine Eltern in die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses brachten, in der mir ein Arzt ein paar Medikamente gab und mich wieder nach Hause schickte. Als es danach noch schlimmer wurde, fuhr meine Mutter mit mir erneut ins Krankenhaus und bestand darauf, eine Röntgenaufnahme von meiner Brust machen zu lassen. Dabei stellte sich dann heraus, dass ich eine Lungenentzündung hatte.
Mir war es egal, ob ich behandelt wurde oder nicht. Ich konnte an nichts anderes denken, als wieder fortgeschickt zu werden, sobald mein Vater die geplante Dienstreise antrat. Ich wusste, dass ich es nicht mehr ertragen würde. Als meine Nieren und die Leber zu versagen begannen, hörte ich meine Eltern besorgt darüber reden, während sie neben mir saßen und ich
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