Als ich unsichtbar war
abwechselnd bewusstlos und dann wieder bei Bewusstsein war. Ich wusste, dass ich mich in einem Raum mit anderen Patienten befand, und manchmal hörte ich Schwestern hereinkommen, die sich um jemanden kümmerten, der den Alarmknopf gedrückt hatte.
Schwermut öffnete einen Abgrund in mir. Ich war des Lebens überdrüssig. Ich wollte nicht mehr kämpfen. Als mir eine Maske auf das Gesicht gedrückt wurde, um mich mit Sauerstoff zu versorgen, betete ich, man möge sie wieder wegnehmen; und als eine Physiotherapeutin kam und auf meinen Brustkorb hämmerte, um die Atemwege frei zu machen, hoffte ich, es möge ihr nicht gelingen; und als sie dann versuchte, mir einen Schlauch den widerspenstigen Rachen hinunterzuschieben, um die Lungenstauung zu beheben, hoffte ich nur noch, sie möge mich in Ruhe lassen.
»Ich muss dieses Biest unbedingt in dich reinkriegen«, sagte sie fast wütend zu mir. »Du stirbst, wenn ich es nicht schaffe.«
Ich frohlockte, als ich das hörte. Ich betete, die Krankheit möge mich überwältigen und vor der Hölle bewahren. Ich hörte meine Eltern über das Patientenblatt an meinem Bettende reden, das mein Vater jedes Mal las, wenn er kam. Auch Kim besuchte mich, und das Geräusch ihrer Clogs hallte außerhalb meines Zimmers im Flur wider, während ihr heiteres Lächeln fast wie ein Lichtstrahl in der Dunkelheit war, als sie mich anschaute. Doch nichts erreichte mich, und ich hörte, ohne wirklich hinzuhören, wie sich die Schwestern über ihre Arbeitsbedingungen beschwerten oder von den letzten Rendezvous mit ihren Freunden berichteten.
»Ich habe ihn mir richtig gut ansehen können, als er vor mir ins Kino ging«, erzählte eine der anderen, während sie mich wuschen. »Der hat einen verdammt sexy Arsch.«
»Du hast auch nur eins im Sinn«, mahnte die Freundin kichernd.
Ich beschwor meinen Körper, endlich aufzugeben. Mich brauchte keiner in dieser Welt, und niemand würde es bemerken, wenn ich mich verabschiedete. Die Zukunft interessierte mich nicht, denn alles, was ich wollte, war mein baldiger Tod. Eines Nachmittags lag ich in meinem Bett und hörte jemanden mit einer Schwester reden. Dann erschien ein Gesicht, und ich sah, dass es Myra war, eine Frau, die ich nur flüchtig kannte. Sie arbeitete in dem Büro, in dem meinem Vater in seiner Funktion als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses meines Pflegeheims Schecks abgezeichnet wurden. Jetzt aber kam Myra mich besuchen, und ich verstand nicht, weshalb sie es tat, denn sonst erschienen hier nur meine Familienmitglieder.
»Wie geht es dir?«, fragte Myra und beugte sich über mich. »Ich bin gekommen, um dich zu besuchen, weil ich gehört habe, wie krank du gewesen bist. Armer Junge! Ich hoffe, die kümmern sich hier gut um dich.«
Myras Miene war besorgt, während sie auf mich herunterblickte. Als sie zögerlich lächelte, wurde mir plötzlich klar, dass ein anderes menschliches Wesen, durch keinerlei Blutsbande oder Verpflichtungen mit mir verbunden, an mich gedacht hatte. Auch wenn ich mich dagegen wehrte, diese Erkenntnis verlieh mir Kraft. Beinahe unbewusst registrierte ich von da an die Wärme und Freundlichkeit, die mir auch von Seiten anderer entgegengebracht wurde: Ich hörte eine Krankenschwester zu einer anderen sagen, sie möge mich, da ich ein guter Patient sei; eine Pflegerin behandelte meine schmerzende Haut fürsorglich, indem sie eine Lotion in meine Schulter rieb, um zu verhindern, dass meine wundgelegenen Stellen noch schlimmer wurden; ein Mann lächelte mir im Vorbeigehen zu, als ich am Tag meiner Entlassung aus dem Krankenhaus in meinem Rollstuhl saß. All diese Begebenheiten ereigneten sich nicht direkt hintereinander, doch rückblickend weiß ich, dass diese winzigen Gesten von Fremden der Anlass für mich waren, wieder Anschluss an das Leben zu finden.
Ungeachtet all dessen, was sich ereignet und mich davon überzeugt hatte, wieder einen Platz in dieser Welt zu haben, war mein positives Gefühl von einer Enttäuschung durchdrungen: Ich hatte es nicht einmal geschafft, zu sterben. Luft füllte meine Lungen, ich wachte morgens auf und schlief abends ein, ich wurde gefüttert, um zu Kräften zu kommen, und ich wurde nach draußen in die Sonne geschoben wie eine Pflanze, die sich nach oben richten soll. Ich konnte nichts unternehmen, um die Menschen daran zu hindern, mich am Leben zu lassen.
Doch als ich eines Tages im Pflegeheim in einem Knautschsack saß, setzte sich eine Pflegerin neben mich. Sie war neu,
Weitere Kostenlose Bücher