Als ich unsichtbar war
sei, und jetzt verstehe ich auch, was sie gemeint haben. Dieses Gefühl ist total anders als alles, was ich bisher erlebt habe.
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Zucker und Salz
I ch verliere mich in Joanna, sobald wir gemeinsam zu träumen beginnen.
»Ich möchte mit dir tanzen«, teile ich ihr mit.
Mit Worten formen wir Gemälde, wenn wir einander erzählen, was wir alles tun werden, sobald wir uns endlich treffen. Außerhalb unserer Arbeitszeiten unterhalten wir uns jetzt fast durchgehend online. Unsere Tage haben einen Rhythmus angenommen, der auf den entgegengesetzten Erdteilen fast gleich ist, da der Zeitunterschied zwischen Südafrika und England nur wenige Stunden beträgt. Das heißt, dass ich Joanna morgens mit einer Nachricht wecken kann, dann mit ihr chatte, bis wir uns zur Arbeit aufmachen, tagsüber schicken wir uns E-Mails, und den ganzen Abend verbringen wir dann online miteinander. Wenn einer von uns essen oder einen Telefonanruf beantworten muss, fahren wir unsere Computer nicht herunter. Und wenn Joanna mich nachts noch einmal anruft, antworte ich ihr mit Piepstönen an meinem Telefon, die ›Ja‹ oder ›Nein‹ bedeuten, und so bleibt uns noch Zeit für ein paar letzte liebe Worte.
Unsere Sehnsucht nach dem anderen ist so groß, dass ich vor kurzem Joanna eine SMS schickte, als ich kurz nach Mitternacht aufwachte, wobei ich wusste, dass sie nach einem nächtlichen Ausflug mit Freunden auf dem Nachhauseweg sein musste.
»Du hast mich gerade geweckt«, scherzte ich, und Sekunden später piepste mein Handy.
»Du wirst es nicht glauben«, simste Joanna zurück, »aber ich habe gerade meine Schlüssel fallen lassen, als ich die Tür aufschloss, und dann dachte ich, ich müsste dich geweckt haben, bevor mir klar wurde, dass das wohl kaum möglich sein kann.«
An einem anderen Tag begann meine rechte Hand zu schmerzen, und ich erzählte Joanna, mir sei vollkommen schleierhaft, woher diese Schmerzen kämen.
»Meine rechte Hand schmerzt heute auch!«, antwortete sie lachend.
Ich habe keine Erklärung für diese Dinge, aber das ist auch gar nicht nötig, weil ich mich an die Wirklichkeit halten kann. Es ist April 2008, und ich habe einen Flug für Anfang Juni nach England gebucht. Es dauert nur noch acht Wochen, bis Joanna und ich endlich zusammen sein werden, und dann können wir entscheiden, wie es mit uns weitergeht. Wir wissen bereits, dass wir uns lieben, und das heißt, wir haben gar keine andere Wahl, als einen Weg zu finden, wie wir zusammenbleiben können.
Meine Eltern sind insgeheim ziemlich aufgeregt. Wird die Fluggesellschaft zustimmen, dass ich so lange alleine fliege? Wer füttert mich aus den kleinen Schüsseln, die man mir vorsetzen wird? Und wer stützt mich in meinem Sitz, um sicherzustellen, dass ich mir nicht den Kopf stoße, wenn mich die Schwerkraft bei der Landung nach vorne schleudert, da ich das Gleichgewicht nicht halten kann? Doch selbst wenn ihre Fragen mich umschwirren, erinnere ich mich immer wieder an mein Versprechen, meine Unabhängigkeit zu erlangen. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt. Es ist fast sieben Jahre her, dass ich meine ersten Tests hinter mich gebracht habe, und in der Zwischenzeit habe ich viel gelernt. Die Zeit ist reif: Ich brauche keine Angst mehr zu haben.
Wie sicher Joanna und ich uns unserer Liebe auch sein mögen, so wissen wir doch, dass wir lernen müssen, mit den Bedenken und Einwänden unserer Mitmenschen zu leben. Nur dann wird unsere Beziehung eine Chance haben. Nachdem die Wochen zu Monaten geworden sind, wird immer deutlicher, dass manch einer argwöhnt, unsere Gefühle seien nur eine Fiktion, die wir uns zusammenreimen, ohne die Unannehmlichkeiten des alltäglichen Lebens in Betracht zu ziehen, die unser Vorhaben zunichtemachen können. Sie glauben, die Illusion habe keine Chance gegen die Realität, und ich habe Verständnis für ihre Skepsis: Wir sind uns nie begegnet, unser Leben verläuft völlig unterschiedlich, und dies ergibt keinen Sinn. Doch es gibt auch Zeiten, da wünsche ich mir, Joanna müsse nicht die durch die guten Absichten anderer Leute heraufbeschworenen Qualen erleiden.
»Was ist passiert?«, fragte ich sie eines Abends.
Ihr Gesicht war farbloser als sonst, das Strahlen war verschwunden.
»Ich hatte einen furchtbaren Nachmittag«, sagte sie.
»Warum?«
»Ich habe ein paar Freundinnen getroffen und hatte mich so gefreut, ihnen von dir erzählen zu können. Aber die wollten einfach nicht zuhören. Alles, was sie interessierte, war die
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