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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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Frage, ob ich mir darüber im Klaren bin, wie verletzlich du sein musst. Sie meinten, es sei grausam von mir, dich glauben zu machen, wir hätten eine gemeinsame Zukunft.«
    Ihre Stimme brach.
    »Es war grauenhaft«, sagte sie. »Ich habe den Mund gehalten, weil ich mich nicht getraut habe, noch etwas zu sagen.«
    »Das tut mir wirklich leid.«
    »Es ist doch nicht deine Schuld. Aber ich verstehe nicht, wie Freundinnen mir solche Sachen überhaupt sagen können. Kennen sie mich denn nicht? Es ist, als sei ich ein Kind, dem man nichts zutraut.«
    »Dieses Gefühl kenne ich nur zu gut.«
    Ihre Miene hellte sich kurz auf, bevor sie wieder traurig wurde.
    »Ich frage mich nur, was andere Leute denken werden, wenn wir uns mit ihnen treffen«, sagte sie. »Mich macht es jetzt schon wütend, wenn ich mir überlege, dass vermutlich alles, was sie sehen werden, dein Rollstuhl ist. Das ist so gemein. Meine Freundinnen haben noch nicht mal erwähnt, dass wir uns noch nicht begegnet sind. Das Einzige, was denen Sorgen bereitet, ist das, was in Wirklichkeit die geringste Rolle spielt.«
    »Das ist häufig so«, schrieb ich. »Die Leute vergessen alles, außer der Tatsache, dass ich nicht gehen kann.«
    »Ich weiß«, sagte sie traurig. »Aber so sollte es nicht sein.«
    Während ich Joanna zuhörte und beobachtete, hatte ich das Verlangen, meine Hand auszustrecken und sie zu berühren, ihr leibhaftig zu versichern, dass wir den Leuten beweisen werden, wie falsch sie liegen. Ich hätte ihr so gerne gezeigt, wie sicher ich war, dass es uns gelingen wird. Liebe ist schließlich eine andere Form von Schicksal. Ich weiß, unsere Liebe ist wahrhaftig, und ich vertraue ihr vollkommen.
    »Die Leute müssen lernen, mit uns umzugehen, denn wir empfinden nun mal so, und wir können nichts daran ändern«, sagte ich ihr.
    »Glaubst du denn, dass sie es tun werden?«
    »Ja.«
    Sie schwieg einen Moment.
    »Es macht mich furchtbar traurig, genau zu wissen, dass ich mit meinen Freundinnen nicht mehr über dich reden kann. Ich habe das Gefühl, ich sei nie mehr in der Lage, ihnen das Wertvollste, das in meinem Leben existiert, anzuvertrauen.«
    »Vielleicht wirst du es später können. Möglicherweise ändern sie ja auch ihre Meinung, wenn sie erkennen, dass wir zusammenstehen, was auch immer geschehen mag.«
    Sie lächelte mich an.
    »Vielleicht, mein Liefie«, sagte sie leise.
    Den Namen habe ich jetzt weg: ›Mein Liefie‹, mein Liebster.
    Ganz gewiss müssen wir Schwierigkeiten ins Auge sehen. Auf verschiedenen Kontinenten zu leben und lediglich über Telefon und Internet miteinander zu kommunizieren, statt sich von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten, kann leicht Anlass zu Missverständnissen geben, daher haben wir angefangen, gewisse Regeln aufzustellen. An oberster Stelle steht, dass wir immer ehrlich miteinander umgehen müssen, danach kommt, dass wir Probleme gemeinsam lösen.
    »Du musst ein bisschen Salz essen«, sagen südafrikanische Mütter ihren Kindern, wenn diese heulend nach Hause kommen, weil ihnen auf dem Spielplatz Unrecht geschehen ist. Damit machen sie ihren Kleinen klar, dass man im Leben immer Schwierigkeiten begegnen wird.
    Joanna und ich wissen das, und die Rückschläge, mit denen wir rechnen müssen – ob es sich nun um Fragen anderer Leute oder die Abneigung der Fluggesellschaften handelt, mich nach England mitzunehmen –, schweißen uns nur noch enger zusammen. Um die Buchung für einen Flug nach London zu bekommen, brauchte ich eine ärztliche Unbedenklichkeitserklärung und andere Genehmigungen; Formulare mussten ausgefüllt und Bescheinigungen von Ärzten eingeholt werden. Doch Joanna ist genauso wild entschlossen wie ich, dass wir uns nicht unterkriegen lassen.
    Es war ein Gefühl, als hätten wir es mit der ganzen Welt aufgenommen und gewonnen, als sie mich eines Morgens auf der Arbeit anrief und sagte: »Die Fluggesellschaft hat zugesagt, dich mitzunehmen. Endlich kommst du nach England!«
    Es war ein gewaltiger Sieg für uns, doch es gibt andere, kleinere Schwierigkeiten, die wir ebenfalls gemeinsam bewältigen müssen.
    »Mir ist klar geworden«, sagte mir Joanna eines Nachts, »dass ich nie hören werde, wie du meinen Namen aussprichst.«
    Wir hatten vorher nie darüber geredet, doch ich spürte den Schmerz in ihrer Stimme, als sie dies sagte.
    »Es stimmt mich traurig, wenn ich daran denke, dass ich die Wörter ›ich liebe dich‹ niemals aus deinem Mund hören werde«, fuhr sie fort. »Und obwohl

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