Als ich vom Himmel fiel
Diktator Franco fackelten nicht lange und steckten illegale Ausländer sofort in ihre berüchtigten Lager. Wieder versteckte sich Vater tagsüber und wanderte nur nachts.
Doch auch von Barcelona legten keine Schiffe nach Südamerika ab, und so wandte Vater sich Zentralspanien zu, immer fern von den Städten, möglichst nahe an den Bergen. Als er sich einmal in einer völlig abgelegenen Gegend unter einem Johannisbrotbaum ausruhte, zog ein Gewitter heran. In der Ferne heulten Hunde, und immer mehr von ihnen fielen ein. Es dauerte einige Zeit, bis mein Vater merkte, dass es sich um Wölfe handelte. Doch mehr Gefahr als von wilden Tieren drohte ihm von Menschen. In Córdoba wurde ihm das wenige Gepäck gestohlen, das ihm geblieben war. Er zog gleich weiter nach Sevilla. Dort erhielt er zum ersten Mal einen Hinweis, dass sein Traum, nach Peru zu gelangen, vielleicht doch noch Realität werden könnte. Kurz vor seiner Abreise hatte Vater von der Familie meiner Mutter einen Rat erhalten: In Lima gab es Kontakte zur Tochter eines befreundeten Admiral s – an die solle er sich wenden, träfe er jemals in der Stadt ein. Nun bekam er in Sevilla von einer deutschen Familie ein Empfehlungsschreiben, das sich ebenfalls auf die Tochter des Admirals bezog. Gleich zwei Empfehlungen an ein und dieselbe Perso n – daraus musste doch etwas werden!
Angesichts der enormen Entfernungen, die mein Vater bisher zurückgelegt hatte, war der Weg von Sevilla nach Cádiz nur noch ein Katzensprung. Von dort sollten Schiffe nach Peru gehen. Doch wieder kam er um nur wenige Tage zu spät. Eben war ein Schiff Richtung Lima ausgelaufen, das Deutsche mitgenommen hatte. In seiner Verzweiflung erzählte mein Vater jedem von seiner Situation. Ein Anhänger General Francos vermittelte ihn daraufhin an einen Verein, welcher Deutschen, die Europa aus politischen Gründen den Rücken kehrten, zur Ausreise verhalf. Das war bei meinem Vater nun wirklich nicht der Fall. Doch vielleicht hätte er nach diesem Strohhalm gegriffen, wenn es nicht schnell geheißen hätte: Außer Spesen nichts gewese n – es gab viele leere Versprechungen, aber keine Taten. Und immer wieder neue Gerüchte. In einem Ort namens San Fernandez, so hieß es jetzt, sollte in Kürze ein Schiff nach Uruguay ablegen. Das wäre zumindest einmal Südamerika. Also eilte mein Vater in die kleine Hafenstadt. Dort traf er einen Maurer, der ebenfalls übersetzen wollte. Zusammen fanden sie das Schiff. Es war ein Salztransporter, und er war tatsächlich gerade am Ablegen. Da fackelten die beiden nicht lange und schmuggelten sich heimlich an Bord. Sie schlugen sich zum Laderaum durch, banden sich Taschentücher vors Gesicht, sprangen ins Salz und gruben sich so gut wie möglich ein. Nach seiner unendlichen Odyssee war mein Vater also an Bord eines Schiffes, das Kurs auf Südamerika nah m – als illegaler Passagier, eingegraben in einigen Tonnen Salz.
Vier Tage lang hielten sie durch. Schwere See brachte das Schiff zum Rollen, die Sonne brannte herab, das Salz drang ihnen in alle Poren, unerträglicher Durst quälte si e – und schließlich drehte der Maurer durch. Er wollte nur noch eines: raus! Mein Vater rechnete aus, dass sich das Schiff wohl gerade erst auf Höhe der Kanarischen Inseln befinden müsste, und beschwor seinen Mitreisenden, sich noch ein wenig zusammenzureißen. Nur noch einen weiteren Tag! Doch sein Reisekamerad hatte nicht mehr die Kraft dazu. Also machten sie sich bemerkbar, wurden prompt verhaftet und, als das Schiff Teneriffa erreichte, in der Hauptstadt Santa Cruz ins Gefängnis gesteckt. Nun drohte meinem Vater der Rücktransport nach Spanien und dort eine lange Lagerhaft. Aber er sollte Glück haben. Nach 1 4 Tagen Haft wurde er auf einmal entlassen und fand prompt eine Schiffspassage nach Recife in Brasilien. Dort ging er einige Wochen später an Land.
Endlich war er in Südamerik a – wenn auch noch auf der falschen Seite der breitesten Stelle des Kontinents. Aber trotzdem: »Kolumbus kann sich beim Betreten Amerikas nicht mehr gefreut haben als ich«, sagte mein Vater. Inzwischen war er schon über ein Jahr unterwegs. Wie konnte er ahnen, dass es fast noch einmal so lange dauern würde, bis er die Hauptstadt Perus erreichte?
Dabei war sein Plan ganz einfach: Die 500 0 Kilometer nach Peru, so seine Überlegung, müsste er als geübter Fußgänger doch bewältigen können. Und einen Teil könnte er sogar mit dem Zug zurücklegen. Natürlich sagten ihm alle mal
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