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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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ein, konnte sie ebenfalls in diesem Museum mitarbeiten und später die Ornithologische Abteilung übernehmen. Kurz darauf wurde geheiratet: In Miraflores, einem besonders schönen Stadtteil Limas, gaben sie einander am 24 . Juni 1950, am Tag der Sonnenwende, einen Tag nach dem 36 . Geburtstag meines Vaters, das Jawort.
    An diese lange, mühevolle Odyssee meines Vaters denke ich oft, wenn ich selbst in Gefahr gerate, ein wenig mutlos zu werden. Oder wenn mich die alten Ängste aus der Zeit meines Absturzes überfallen wollen. Dann ist mir seine Geschichte ein Beispiel, dass es sich lohnt, sich nicht unterkriegen zu lassen. Nicht von Militärposten, nicht von bereits abgefahrenen Schiffen, nicht von Gebirgen, die es zu überqueren gilt, nicht von Tausenden von zu Fuß zurückzulegenden Kilometern. »Wenn wir uns wirklich dazu entschlossen haben, etwas zu erreichen«, sagte mein Vater einmal, »dann gelingt es uns auch. Wir müssen nur wollen, Juliane.«
    Er hatte recht. Damals, nach dem Absturz, wollte ich überleben, und ich schaffte das kaum Mögliche. Kann einem danach noch irgendetwas Schlimmeres begegnen?
    Oh ja, es kann. Jede Herausforderung stellt sich einem völlig neu. Genau wie jeden anderen Menschen kostet es mich immer wieder enorme Kraft, das, was ich will, auch in die Tat umzusetzen. Heute will ich mit ganzer Kraft, dass Panguana nicht nur weiterbesteht, sondern in eine neue Form übergeführt wird. Ich will, dass der Wunsch meines Vaters in Erfüllung geht und dieses Fleckchen Erde in erweiterter Form zum Naturschutzgebiet erklärt wird. Deshalb sitze ich in diesem Flugzeug, deshalb überwinde ich meine Ängste. Und nun, nach vielen Stunden, ist es bald so weit. Das Land meiner Kindheit liegt bereits unter mir, eben überflogen wir die Grenze zwischen Brasilien und Peru. Mein Herz schlägt heftiger. Nur noch eine knappe Stunde. Schon weicht der Urwald den ersten Ausläufern der Anden. Liegen die hinter uns, geht das Flugzeug in den Landeanflug auf Lima. Dann findet auch dieser lange Flug Gott sei Dank ein gutes Ende.

4 Mein Leben in zwei Welten

Kapitelanfang
    Ich atme auf. Wieder einmal geschafft. Nun noch durch die Passkontrollen, zur Gepäckausgabe, dann blicke ich in wohlvertraute Gesichter und werde stürmisch umarmt. Der langjährige Freund unserer Familie Alwin Rahmel lässt es sich auch diesmal nicht nehmen, mich und meinen Mann am Flughafen persönlich abzuholen.
    Auf der Fahrt zu unserem Hotel lasse ich die Stadt auf mich wirken: Lima ist quirlig, bunt und jedes Jahr noch ein bisschen lauter. Das war schon früher der Fall, und doch ist Lima heute im Vergleich mit damals kaum wiederzuerkennen. Zugegeben, schon mein Vater schrieb Jahre vor meiner Geburt an meine Mutter, ehe sie nach Lima kam, »schön kann man diese Stadt ganz gewiss nicht nennen«, und doch hatte sie in meiner Kindheit einen ganz eigenen Charme. Damals gab es in der ganzen Stadt kaum ein Gebäude, das höher war als vier Stockwerke, im spanischen Kolonialstil erbaut reihten sie sich, umgeben von Bäumen, eines an das andere. Heute entdecke ich jedes Mal, wenn ich ankomme, neue überdimensionierte Prachtbauten mit den Insignien von Banken, Autohäusern, Casinos und Hotels entlang der Straße in die Innenstadt. Sie kontrastieren heftig mit den gemütlichen Vierteln der Stadt meiner Kindheit. Es gibt Plätze und Gegenden, die erkenne ich kaum wieder. Hier wurde die Verkehrsführung verändert, dort eine neue Schnellstraße gebaut. Nicht alles, was neu ist, finde ich schlecht. Zum Beispiel die eigene Busspur in der Mitte zwischen zwei Autotrassen finde ich sehr praktisch, sogar Bäume hat man ihr entlang gepflanzt, wenn sie auch jetzt noch klein sind und die spätere Pracht erst erahnen lassen.
    Ja, es ist viel los auf Limas Straßen, eine »hora punta«, wie man hier die Verkehrsstoßzeiten nennt, geht nahtlos in die nächste über. Obwohl sich so viel verändert hat, habe ich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Ich schaue um mich, löchere unseren Freund mit meinen Fragen. Was habe ich verpasst, solange ich in Deutschland war?
    Noch immer ist Peru ein Land voller Gegensätze. So war es früher, und daran hat sich in den Jahren bis heute wenig geändert. Damals gehörte ich zu den privilegierten Kindern, ohne dass mir das bewusst war. Hätte man mich gefragt, ob es in Lima Armenviertel gibt, hätte ich das entrüstet verneint. Heute ist mir bewusst, dass ich mit meinen Eltern, auch wenn sie immer viel Wert darauf legten,

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