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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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bescheiden zu leben, zu den Reichen gehörte, meine Welt war Miraflores, hier lebten meine Paten, und das ist heute noch eine der besseren Gegenden von Lima. Inzwischen weiß ich auch, dass in den am weitesten vom Meer entfernten Vierteln, jenen, die sich die Berghänge zu der Cordillera Negra emporziehen, viele Menschen in Slums leben. Darum kommt es mir immer ein wenig anachronistisch vor, wenn einige meiner alten Schulfreundinnen in Lima sagen: »Wie kannst du es nur in Deutschland aushalten, da hast du ja nicht einmal Personal.« Die Kehrseite in Peru ist nämlich: Dieser Wohlstand existiert neben extremer Armut. Auch davon berichtet mir Alwin Rahmel und von den Fortschritten seines karitativen Engagements in den Elendsvierteln von Lima, wo Kinder oft nicht einmal eine einzige Mahlzeit am Tag bekommen, haben sie nicht das Glück, bei einer der Schulspeisungen des Kinderwerks Lima dabei zu sein. Ja, Peru ist ein Land voller Gegensätze. Und ich liebe es so, wie es ist. Ich bin stolz darauf, als Deutsche und Peruanerin beide Welten miteinander vereinen zu können. Deutschland ist das Land, in dem ich leb e – und auch wirklich gerne bin. Doch mit Peru bin ich mit dem Herzen verbunden. An Deutschland liebe ich, dass die Dinge in der Regel besser funktionieren. In Peru mag ich die Musik, die Warmherzigkeit und den Humor der Menschen. Und ich liebe die peruanische Küche.
    An diesem ersten Abend besuchen wir mein Lieblingsrestaurant. Wir werden herzlich begrüßt, so als seien wir erst letzte Woche hier gewesen, und für einen Moment stelle ich es mir auch so vor. Alles ist wie immer, mein Leben in Deutschland geht nahtlos über in mein peruanisches Dasein, so wie eine Hälfte eines Reißverschlusses in die andere. Ich bestelle »Papa a la Huancaína«, die ich für mein Leben gerne esse, Kartoffeln mit scharfer Käsesauce. Wie oft schon habe ich in München probiert, dies nachzukochen, aber da der richtige Frischkäse und die gelben Ají-Schoten für die Sauce in Deutschland einfach nicht zu bekommen sind, will es nicht so gut gelingen. »Hier schmeckt es einfach besser«, gestehe ich mir seufzend ein und lasse die Sauce auf der Zunge zergehen. In Peru sind rund 4000 unterschiedliche Kartoffelsorten bekannt, es gibt sie in Weiß, Gelb, Rot, Braun und Violett und allen Schattierungen dazwischen. Mein Mann wählt einen Chupe, einen der köstlichen Eintöpfe, das wärmt tüchtig auf, denn in Lima ist es auch an diesem Abend empfindlich frisch. Einmal, vor vielen Jahren, las ich einen Artikel in einer deutschen Illustrierten, der mit »Prima Klima in Lima« überschrieben war, aber ich fürchte, der Redakteur verfiel dem Zauber des dreifachen Reims, denn das Klima in Lima ist alles andere als prima. Die meisten Tage des Jahres ist der Himmel bedeckt, oft herrscht Nebel, und die feuchte Kühle kriecht einem mitunter in die Knochen. Das liegt am nah vorüberfließenden Humboldtstrom, der kalt aus der Antarktis kommend auf die ansonsten warme See trifft und so für ordentlich »Dampf« sorgt.
    Extrem sind in diesem Land auch die unterschiedlichen Landschaftsformen: An der Küste entlang zieht sich die Wüste von Norden nach Süden, dann folgen die Anden mit ihren mächtigen Gebirgszügen und Hochplateaus und schließlich auf ihrer Ostseite der Amazonas-Regenwald. Der große Unterschied zwischen Küste und Regenwald bringt es mit sich, dass unsere Koffer immer doppelte Kleidung enthalten: wärmere Sachen für Lima und Hochsommerliches für den Regenwald.
    Die unterschiedlichen Lebensräume Küste, Gebirge und Regenwald bergen jeweils auch eine ganz eigene Flora und Fauna, die ich auf meinen Fahrten in den Urwald gemeinsam mit meinen Eltern oft bestaunen konnte. Ja, und diese mehrtägigen Reisen von Lima über die Anden in den Regenwald gehören zu den schönsten und reichsten Erinnerungen meiner Kindheit:
    In Lima nahmen wir meistens einen Bus des Unternehmens »La Perla de los Andes«. Oben auf das Dach wurde das Gepäck gebunden, dann kletterten ein paar Jungs hinauf, deren Aufgabe es war, auf der ganzen Fahrt über die Berge dafür zu sorgen, dass nichts herabfiel oder gar gestohlen wurde. Vielleicht waren die Gepäckwächter des Konkurrenzunternehmens »León de Huánuco« besser, denn das war eine Buslinie, die berühmt für ihre Zuverlässigkeit war. Ich war aber noch nicht in einem Alter, in dem mich das kümmerte. Ich schaute aus dem Fenster, denn schon kurz nach Lima gewinnt man rasch an Höhe. Trotzdem dauert die

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