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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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steckte ihn in ein berüchtigtes Gefangenenlager. Unter dem Vorwand, seine Papiere zu überprüfen, hielten ihn die Italiener über viele Monate dort fest. Eine Gruppe Mitgefangener wollten ihn schließlich zur Flucht überreden, besonders ein nordafrikanischer junger Mann schwärmte ihm von seiner Heimat vor und drängte ihn mitzukommen. Aber obwohl mein Vater ein Mann der Tat war, ließ er sich nicht darauf ein. Und das war auch gut so: Alle Ausbrecher wurden rasch wieder eingefangen und hart bestraft. Doch dann geschah ein Wunde r – von dem er mir gern und häufig erzählte. Immer wieder betete er darum, dass der Herr die Mauern, die ihn umgaben, einstürzen lassen sollte. Und genau das passierte auch: In einer starken Regennacht brach neben ihm die Mauer des Lagers einfach zusammen, und er konnte flüchten. Natürlich waren ihm die Verfolger gleich auf den Fersen, aber er war schlauer als sie: Anstatt so weit wie möglich weg zu laufen, versteckte er sich ganz in der Nähe des Lagers in einem Gebüsch. Er deckte sich mit Farnen zu und blieb dort eine Nacht und einen Tag. Erst als die Suche nach ihm als ergebnislos abgebrochen wurde, setzte er die Flucht fort. Natürlich war er nun um einiges vorsichtiger und wanderte hauptsächlich in der Nacht. Tagsüber versteckte er sich oder klopfte immer wieder an einem Bauernhaus an, wo er meistens gastfreundlich aufgenommen wurde. Einmal jedoch kam er zum Haus eines Vogelfängers. Er und seine Frau waren besonders freundlich zu ihm und teilten mit ihm ihr Mahl. Deshalb schenkte er der Signora seinen letzten Gegenstand von Wert, eine Brosche. Als er allerdings weiterziehen wollte, meinte der Vogelfänger, alleine würde er den Weg niemals finden, es wäre besser, er käme mit ihm. Unterwegs merkte mein Vater aber, dass der Mann Verrat im Sinn hatte, und konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen.
    Doch dieses Abenteuer beendete seine Odyssee noch lange nicht. Auch von Neapel fuhr kein Schiff, und so zog er weiter bis nach Sizilien. Tatsächlich lagen in Trapani Fischkutter vor Anker. Mein Vater zögerte nicht und sprach mit allen Besitzern, doch keiner war bereit, ihn nach Afrika überzusetzen.
    Ich glaube, dass viele Menschen jetzt allen Mut verloren hätten. Doch mein Vater war aus anderem Holz geschnitzt. Er sagte sich, wenn er in Italien kein Schiff fand, das ihn nach Südamerika brachte, dann würde er eben eines in Spanien finden. Also wanderte er den gesamten italienischen Stiefel wieder hoch und wandte sich nördlich von Genua Richtung Frankreich. Als er endlich die Grenzstadt San Remo erreichte, ließ man ihn wissen, dass es völlig unmöglich sei, die Grenze zu überqueren: Sie war noch immer ein einziges Minenfeld. Doch mein Vater war viel zu entschlossen, um sich von diesen Gefahren abhalten zu lassen. In einer finsteren Nacht überquerte er das Grenzgebirge und wanderte zu Fuß weiter bis nach Nizza. Dort nahm ihn zum ersten Mal seit Langem wieder ein Auto mit. In Aix-en-Provence stieg er aus und fragte gleich an der nächsten Tankstelle den Fahrer eines teuren Wagens, ob er ihn mitnehmen könnte. Der lehnte rigoros ab, als er hörte, dass Vater Deutscher war. Erst als die Kassiererin ein gutes Wort für ihn einlegte, erbarmte er sich und nahm ihn doch noch mit. Es stellte sich heraus, dass der Fahrer jüdischen Glaubens war, was seine anfängliche Ablehnung in ein anderes Licht rückte. Als er Vaters Geschichte hörte, schenkte er ihm sogar 15 0 Francs. Das war sehr großherzig, weil damals jeder, den man bei einer Kontrolle mit weniger als 10 0 Francs antraf, als Vagabund verhaftet wurde. »Wer so weit gekommen ist wie Sie«, sagte der Mann beim Abschied, »der schafft es auch nach Südamerika.«
    Danach sah es aber gar nicht aus. Als Vater in Marseille eintraf, fand er auch dort kein Schiff. Gerüchte wollten wissen, dass von Portbou alle vier, fünf Monate ein Südamerikadampfer ablegte. So lange wollte mein Vater aber nicht warten. Er entschied sich, seinem ursprünglichen Plan zu folgen und nach Spanien zu marschieren.
    Wieder hieß es, das sei unmöglich: Dieses Mal sollten die Pyrenäen Endstation sein. Gegen dieses Gebirge, sagten die Leute, seien die Alpen ein Spazierweg. Mein Vater ließ sich wieder nicht beeindrucken. Er folgte einem steinigen Bachlauf höher und höher, bis er am Wind spürte, dass ihn mediterranes Gebirgsklima umgab. Er hatte es geschafft! Er war in Spanien.
    Dort jedoch musste er besonders umsichtig sein. Die Anhänger von

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