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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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Kübler
    Markus Kübler hatte im Gespräch erwähnt, dass er sich in seiner Diplomarbeit mit dem Thema Demenz beschäftigt hat. Das und seine praktischen Erfahrungen interessieren mich. Wir verabreden uns. Eigentlich, erzählt Kübler, wollte er eine Kochlehre machen, landete aber erst mal als Zivildienstleistender in einem Altenheim. Weil es ihm da gut gefiel, studierte er anschließend Sozialarbeit und ließ sich zur Fachkraft in Gerontopsychiatrie ausbilden. »Eine spannende Arbeit«, sagt er.
    – Jeder Tag ist unberechenbar. Man weiß nie genau, was passiert. Menschen mit Demenz verstellen sich ja nicht. Die machen im Gegensatz zu uns vor allem das, wozu sie gerade Lust haben. Es gibt auch immer wieder was zu lachen. Kein Auslachen. Aber Situationen, Reaktionen, die einen verblüffen und auch mal umhauen.
    Etwa vier Fünftel der Bewohner der Einrichtung sind mehr oder weniger dement.
    – Es gibt auf jeden Fall auch glückliche Menschen mit Demenz. Wobei für viele die Anfangsphase, wenn sie merken, dass sich was ändert, schwierig ist. Wenn sie sich in ihrer eigenen Welt befinden, wirken zumindest einige recht glücklich.
    Gut zwei Drittel der Betroffenen, glaubt Kübler, sind mit ihrer Situation zufrieden.
    – Viele kommen hierher und sagen bei der Aufnahme, dass sie alles selber können. Wenn man aber genauer hinkuckt, stimmt das oft nicht. Es ist allerdings grundsätzlich so, dass man von Menschen mit einer Depression meist »Nee, ich kann nichts mehr. Mach du das mal!« zu hören bekommt, während Menschen mit einerAlzheimer-Demenz eher zu einem »Ich kann alles, und bei mir ist alles gut« tendieren. Viele verstecken sich da hinter einer Fassade.
    Die Betroffenen würden sich im Heim oft auch weiterentwickeln. Es gäbe vormals »Angepasste, die jetzt den Aufstand proben«, ehemalige »Gewitterziegen, die sehr lieb werden«, und auch Nonnen und Priester die, nachdem die Demenz sie von der einen oder anderen Hemmung befreit hat, »plötzlich zu Hochform auflaufen«.
    – Und Sie selbst? Haben Sie Angst, selbst einmal eine Demenz zu bekommen?
    Er zögert.
    – Manchmal, wenn ich so Bewohner vor Augen hab, dann denke ich, wenn ich dement werden sollte, dann gern so wie die. Das sind dann Menschen, die in ihrer überschaubaren Welt häufig sehr zufrieden mit Kleinigkeiten sind und da auch viel Freude empfinden. Wenn man auf die zugeht, bekommt man oft direkt ein Lachen zurück. Das ist ähnlich wie bei Kindern.
    Auf die Betroffenen zuzugehen, sei entscheidend, sagt Kübler.
    – Das Wichtigste ist der Kontakt.
    Er beruft sich dabei auf den »personenzentrierten Ansatz« des englischen Sozialpsychologen Tom Kitwood. Als Alternative zu einem in erster Linie medizinischen Blick auf die Betroffenen entwickelte der 1998 verstorbene Kitwood eine neue »Demenzpflegekultur«, die darauf zielt, die Betroffenen in ihrer Einzigartigkeit zu würdigen und zu achten. Er selbst beschrieb das so:
    »Der Kontakt mit Demenz und anderen Formen schwerer kognitiver Beeinträchtigung kann und sollte uns aus unseren üblichen Mustern der übertriebenen Geschäftigkeit, des Hyperkognitivismus und der Geschwätzigkeit herausführen in eine Seinsweise, inder Emotion und Gefühl viel mehr Raum gegeben wird. Demente Menschen, für die das Leben der Emotionen oft intensiv und ohne die üblichen Hemmungen verläuft, haben den Rest der Menschheit unter Umständen etwas Wichtiges zu lehren. Sie bitten uns sozusagen, den Riss im Erleben, den die westliche Kultur hervorgerufen hat, zu heilen, und laden uns ein, zu Aspekten unseres Seins zurückzukehren, die in evolutionärem Sinne viel älter sind, stärker mit dem Körper und seinen Funktionen in Einklang stehen und dem Leben aus dem Instinkt heraus näher sind.«
    Kitwood stellt dabei nicht auf eine nach heutigem Wissensstand eher unwahrscheinliche Heilung ab, sondern auf das Wohlbefinden der Betroffenen und die gelingende Beziehung zu ihnen.
    – Es geht um den sozialen Aspekt: Person sein bedeutet, in einem sozialen Kontext zu stehen. Das verhindert, dass der Betroffene, egal wie dement er ist, lediglich als zu pflegendes Objekt gesehen wird.
    Wichtig ist, so Kübler, vor allem die zwischenmenschliche Begegnung auf der emotionalen Ebene. Sie soll, und das ist entscheidend, dem Betroffenen ein Gefühl der Geborgenheit und Wertschätzung vermitteln. Das klingt gut, lässt sich in der ökonomisch bedingten Struktur des Heimalltags aber sicherlich nicht immer oder vielleicht auch nur

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