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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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elementare Ebene, dass ein Mensch inGemeinschaft von Menschen geboren und dadurch »unseresgleichen« ist, womit er Anrecht auf Achtung und Schutz hat. Menschen können unterschiedlich entwickelt sein, was aber keine Abstufung ihres Status als Person bedeuten darf.
    – Die Würde, die in den besonderen Situationen menschlicher Freiheit liegt, wenn es etwa darum geht, sich in einer aussichtslosen Situation zu behaupten oder sich unter Lebensgefahr für andere Menschen einzusetzen, ist ein potenzieller Leitstern dafür, was Menschsein ausmachen kann. Das darf aber nicht zur Richtschnur genommen werden, wenn es um die Frage geht, worin Menschenwürde und Person-Sein bestehen. Personen sind wir in einem grundlegenden Sinne bereits dann, wenn wir miteinander als unseresgleichen umgehen.
    So gesehen, erkennt man die Würde eines Menschen an, wenn man ihm, so Fuchs, als meinesgleichen, oder, mit anderen Worten, »auf Augenhöhe« begegnet.
    Fuchs muss zum nächsten Termin. Ich hab eine letzte Frage. Sie bezieht sich auf ein Zitat aus einem seiner Aufsätze. »Das implizite Gedächtnis vergegenwärtigt die Vergangenheit nicht, sondern enthält sie latent, als gegenwärtig wirksame Erfahrung in sich. Es ist unsere gelebte Vergangenheit.« An anderer Stelle heißt es: »Das Gedächtnis des Leibes vermittelt die eigentliche, lebendige Gegenwart der Vergangenheit.«
    – Heißt das, »alles ist jetzt«?
    Mein Trostgedanke zum Leben mit Demenz. Fuchs lächelt.
    – Ja, in diesem Sinn könnte man sagen, »alles ist jetzt«: Ich bin die Gesamtheit all der Prozesse und Erfahrungen, die mich zu dem gemacht haben, was ich jetzt bin. Das alles enthalte ich in mir. Immer, wenn ich etwas wahrnehme, nehme ich alles Ähnliche, was ich in dieser Weise schon wahrgenommen habe, mit wahr. Immer, wenn ich mit etwas handelnd umgehe, steckt darin dieSumme aller früheren Erfahrungen mit dem jeweiligen Gegenstand.
    All das, sagt Fuchs, ist grundsätzlich immer mit präsent, ich muss mich nicht daran erinnern.
    – So wie ein Baum im Grunde ja immer auch noch sein Keim ist. Sein Wachsen steht für eine fortwährende Transformation, die aber alle früheren Stadien noch in sich enthält. Der Baum fängt ja nicht irgendwann an, alles abzubauen und ein ganz anderer Baum zu werden. Er ist im Grunde immer noch derselbe wie als Keim. Das Ganze seines Wachstumsprozesses ist in seiner Gegenwart mit enthalten. Und so sind wir auf dieser Ebene auch. Wir wachsen, und das Ganze unseres gelebten Lebens ist im jetzigen Moment enthalten. Wir sind, was wir gelebt haben.
    Was nebenbei, und zumindest da sind Pohl und Fuchs sich einig, auch bedeutet, dass nichts, was wahrgenommen worden ist, umsonst wahrgenommen worden sein wird.

Erinnerungen XII
    »Und wie hast du Vater kennengelernt?«
    »Den hab ich auf einem Schlussball kennengelernt. Das war aber nicht mein Schlussball. In Hohenlimburg war ja sonst nichts los. Aber es gab diese Tanzschule Brinkmann mit ihren Kursen mit Mittelball und Abschlussball. Da konnte man aber auch so hingehen, um zu tanzen. Da habe ich den kennengelernt.«
    »War das dein erster Freund?«
    »Ja. Ich kannte andere Jungs, aber nicht näher. Der war schon mein erster Freund, und dann haben wir uns getroffen, unten an der Mauer. Da konnte ich vom Klofenster aus hingucken, und dann war er da, und dann bin ich da hingegangen. Und da sind wir am Schloss spazieren gegangen und so was. Da haben wir uns gesiezt! ›Wie alt sind Sie?‹ – ›Ich bin siebzehn. Wie alt sind Sie denn?‹ – ›Ich bin neunzehn.‹
    Ach, meine Zeit, da fing das an. Und dann sind wir anfangs immer nur mit seinen Freunden zusammen gewesen. Die hatten dann mal ’ne Freundin, und das wurde dann immer mehr. Wir wollten natürlich ein Auto haben. Da haben wir uns auch harte Jahre angetan. Das würde sich heute kein Mensch mehr antun. Jeden Pfennig haben wir gespart. Immer, wenn ich Geld gekriegt hatte, sind wir in die Schlosswirtschaft gegangen. Da gab es Schinkenschnittchen für eine Mark achtzig. Schinkenschnittchen und eine Cola waren dann zwei fünfzig. Und dann habe einmal ich bezahlt, und einmal hat er bezahlt. Und …«
    Mascha brabbelt.
    »… sonst haben wir alles gespart. Wir sind auch zu seiner Oma. Die hatte einen Fernseher. Und das war was Besonderes, da hatten vielleicht hundert Leute in Hohenlimburg einen Fernseher.«
    Mascha wird lauter.
    »Und dann sind wir da samstagsabends zu Fuß hin und haben Die Familie Schöllermann gesehen. Das war ganz toll.

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