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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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»Vernunft« allgemein die Fähigkeit verstanden wird, von einzelnen Beobachtungen und Erfahrungen auf universelle Zusammenhänge zu schließen und danach zu handeln. Sie ist das oberste Erkenntnisvermögen und unabdingbar für die geistige Reflektion.
    Wenn nun aber der Anspruch auf Würde an bestimmte Fähigkeiten geknüpft wird, kann das für Menschen, die nicht über diese Fähigkeiten verfügen, fatale Folgen haben. Denn mit dem Absprechen der Würde droht ihnen der Verlust schützender Grundrechte. Neben der Diskussion um den Status von Embryonen gilt diese Bedrohung gerade für Menschen mit Demenz, wenn sie aufgrund ihrer schwindenden Fähigkeit zur geistigen Reflektion aus dem Kreis der Schutzwürdigen hinausdefiniert werden.
    So macht es der australische Philosoph Peter Singer,den Fuchs am Anfang seines Vortrags erwähnte, zur Bedingung für das Person-Sein, dass ein Mensch oder auch Tier sich seiner selbst in einem zeitlichen Kontinuum bewusst ist. Ein Mensch, der dazu nicht in der Lage ist, hat im Zweifelsfall schlechte Karten. In Peter Singers Praktischer Ethik heißt es dazu: »[E]s ist schwer einzusehen, warum man solche menschlichen Wesen am Leben erhalten sollte, wenn ihr Leben insgesamt elend ist.«
    Singer, dessen eigene Mutter von Alzheimer-Demenz betroffen war und von dessen jüdischen Großeltern drei in Konzentrationslagern der Nazis umkamen, wird gerade in Deutschland und Österreich immer wieder vorgeworfen, ein Wegbereiter der Euthanasie zu sein, wogegen er sich verwehrt. Die Freiburger Philosophieprofessorin Regine Kather zeigt in ihrem Buch Person – Die Begründung menschlicher Identität , dass Singers Theorie keinesfalls »als die überspitzte Position eines Außenseiters« eingeordnet werden sollte. Seine Argumentation wird auch in Deutschland »von etlichen namhaften Philosophen, und Naturwissenschaftlern, von Juristen, Politikern und sogar Theologen, mehr oder weniger deutlich und mehr oder weniger modifiziert, vertreten«. Kather weist darauf hin, dass sich selbst Bundestagsabgeordnete Singers Ansätze zu eigen machten, als über die Freigabe der Forschung mit embryonalen Stammzellen diskutiert wurde.
    In Deutschland ist es die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, über die Einhaltung des Grundgesetzes und damit über die Achtung der Menschenwürde zu wachen. Laut dem Gericht ist mit Menschenwürde jener Wert- und Achtungsanspruch gemeint, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status. Obwohl das recht eindeutig klingt, erregte 2003 die Kommentierung des Artikel 1 des Grundgesetzes durch Matthias Herdegen,den Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Aufsehen, in der dieser die Ansicht vertritt: »Trotz des kategorialen Würdeanspruchs aller Menschen sind Art und Maß des Würdeschutzes für Differenzierungen durchaus offen, die den konkreten Umständen Rechnung tragen.« 2004 brachte der Staatsrechtler Hans-Jürgen Papier, damals Präsident des Verfassungsgerichts, die Flexibilität des Würdebegriffs dann folgendermaßen auf den Punkt: »Der Begriff Menschenwürde ist natürlich interpretationsfähig und -bedürftig, und in diese Interpretation fließt auch der gesellschaftliche Wandel ein.«
    Kurzum: Die Würde des Menschen scheint nicht ganz so unantastbar, wie man es sich vielleicht wünschen würde.
    – Reicht das Leibgedächtnis aus, um einem Menschen seinen Personenstatus zuzusprechen?
    Fuchs holt tief Luft.
    – Wenn wir den Personenstatus nur an die höchsten personalen Fähigkeiten wie Rationalität und Selbstreflektion knüpfen und gewisse Menschen aus dem Personenkreis ausschließen, weil sie nicht mehr über diese Fähigkeiten verfügen, dann geraten wir auf die schiefe Bahn.
    Er nimmt einen Schluck von seinem garantiert kalten Cappuccino.
    – Wir vergessen dann, dass es eine elementarere Ebene gibt, auf der wir schon als Personen miteinander umgehen. Und das ist die Wahrnehmung des Anderen als unseresgleichen, die Wahrnehmung des Anderen als ein Lebewesen, das uns auf einer emotionalen, leiblichen, zwischenleiblichen Ebene ähnlich und mit uns verbunden ist. Ein menschliches Wesen, das unsere Achtung und unsere Anerkennung aufruft, unabhängig davon, wie weit sein Selbstbewusstsein gediehen ist und wie weit sein autobiografisches Wissen reicht.
    Fuchs betont die

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