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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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bestandenen Abschlussprüfung und zur Festanstellung und möchte wissen, warum sie diesen Beruf gewählt hat. Sie erzählt von ihren vielen Praktika und einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Altenheim, das sie gemacht habe, um sich selbst zu testen. Danach wusste sie, dass das der richtige Beruf für sie sei, weil es ihr um die Menschen und die Beziehung zu ihnen geht. Ich denke an die prophezeite Pflegekrise, die wenig attraktiven Arbeitsbedingungen, fehlende Karrierechancen in einem Berufsfeld, das in der Öffentlichkeit immer wieder mit der Aufdeckung von Missständen verknüpft wird, und falle innerlich vor diesem Engel auf die Knie. Ja, solche Menschen gibt es. Sicher öfter, als man denkt.
    – Was machen deine Erinnerungen, Mama?
    – Da kannst du auch gern mitmachen.
    Wo liegt jetzt das Problem? Ohren oder Geist?
    – Deine Erinnerungen?! Was machen deine Erinnerungen?
    – Ganz gut.
    Sie fragt, wie sie zur Vorlesung kommt. Kein Problem, sage ich und mir fällt auf, dass ich auf diese Fragen mittlerweile immer »kein Problem« sage. Dann erkläre ich ihr, dass sie einfach den Gang entlanggehen müsse. Ich frage noch, ob sie überhaupt Lust auf »diese Vorlesungen« habe. »Ja, schon«, sagt sie. Ihr Gesicht verrät mir eindeutig, dass dem nicht so ist, dass sie es aber nicht zugeben will. Meine Mutter schwindelt mich wegen irgendwelcher Vorlesungen an, die sie sich einbildet. Ich muss lachen. Auch wenn der Boden ganz schön wackelt, scheint da noch eine Menge zu funktionieren.
    Dann will sie wissen, ob ich sie zur Bahn bringe, ob ich den Koffer schon hochgeholt hätte. Alles kein Problem, versichere ich ihr und frage zwischendurch:
    – Wie geht es dir?
    – Gut, aber auch schön, dass die Zeit hier bald vorbei ist.
    – Die Zeit ist hier bald vorbei?
    – Wer will denn schon ewig im Krankenhaus bleiben.
    – Ach so.
    Dann halluziniert sie ganz offensichtlich, und ich schlage einen kleinen Spaziergang auf dem Gang vor. Den kalten Regen draußen möchte ich ihr nicht zumuten. Sie braucht zur Unterstützung lediglich meine Hand, nicht den Arm, und schon gar nicht den Rollator. Nur die Kurven überfordern sie ein wenig. Eine Pflegerin und ein anderer Besucher sprechen sie an, sagen, dass meine Mutter sich immer so freue, wenn einer ihrer Söhne da sei, und dass sie sonst nicht so gut laufen würde. Das ist nett, aber ich denke, dass ich öfter hier sein sollte und ringe mit Mühe das schlechte Gewissen nieder.
    Wir setzen uns zur Erholung auf eines der Sofas im Gang. Ich halte meine Mutter im Arm und komme mit dem Ehemann einer anderen Bewohnerin ins Gespräch. Er ist jeden Tag viele Stunden hier und kümmert sich mit einerGeduld um seine Frau, die mir von einem anderen Stern oder doch zumindest aus einer anderen Generation zu kommen scheint. Seine Frau erlebe ich meist als teilnahmslos, sie redet nie, gibt nur hin und wieder Laute von sich, die ihr Mann zu deuten weiß. Ich erlaube mir die Frage nach ihrer Diagnose.
    »Alzheimer«, sagt der Mann. Ich habe das Gefühl, in die Zukunft meiner Mutter zu schauen, bin aber zu meiner eigenen Überraschung nicht wirklich erschrocken.
    Die Frau lebt seit sechs Jahren hier, die sechs Jahre davor pflegte ihr Mann sie allein zu Hause. Als er dann, nicht zuletzt wegen des Dauerstresses, mit akuten Magen- und Gallenproblemen vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht werden musste, brach das Konstrukt zusammen. Die Söhne, die für den Vater einspringen sollten, wurden von der Mutter für Einbrecher gehalten und mit dem Messer bedroht. Das Vormundschaftsgericht ordnete die Einweisung ins Heim an. Seitdem ist sie hier, und das fürs Alter angesparte Geld geht für die Pflege drauf. Zwei Jahre hätte er es auch noch zu Hause geschafft, sagt der Mann. Ich bin mir sicher, dass er recht hat. Er hätte gegen den Gerichtsbescheid klagen müssen. Dazu fehlte die Kraft.
    Dann gibt es Abendessen – Tee, belegte Brote, überbackenen Toast und eine gezielte leckere Kalorienbombe, die ich nicht genau identifizieren kann. Ein gutes Dutzend Heimbewohner speist, isst oder stopft etwas in sich hinein. Freundliche, selbstbewusste Gesichter. Einige müssen von den Pflegerinnen gefüttert werden. Einige sind von keiner erkennbaren Einschränkung geplagt und kommen in ihrem Tempo bestens allein klar. Meine Mutter ist so ein Zwischenfall. Wenn man ihr mehrmals alles zeigt und gut sichtbar hinlegt, braucht sie keine weitere Hilfe. Sie hat Appetit, schön. Ihre Unruhe verbraucht, so habe

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