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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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war. Aber sie hatte keine Zeit, sich den beiden zu nähern, denn plötzlich wurde laute Marschmusik angestimmt, die die Ankunft des Redners verkündete. May erkannte die hochgewachsene Gestalt Oswald Mosleys, des Führers der British Union of Fascists, der, eskortiert von zwei Parteigenossen in schwarzen Anzügen, den Mittelgang des Saals entlangschritt. May überfiel ein innerer Schauer; auch diesmal verspürte sie in der Gegenwart dieses Mannes eine verwirrende körperliche Erregung.
    Als Mosley das Podium betrat und vor dem Publikum mit seiner typischen Armbewegung salutierte, indem er den Arm anwinkelte und die Handfläche nach außen kehrte, als würde er den Verkehr regeln, nahm May jedes Detail des Mannes in sich auf. Er hatte die Haare glatt zurückgelegt, keine Strähne widersetzte sich der öligen Pomade, genau wie schon mehrere Wochen zuvor in Cuckmere, als er so dicht an ihr vorübergegangen war. Jetzt, wo sie Zeit hatte, ihn eingehender zu betrach
ten, bemerkte sie, dass sein schmaler Schnurrbart aussah, als sei er mit dem Bleistift aufgetragen und habe dieselbe Ölbehandlung erfahren wie sein Haupthaar. Sein straffer, athletischer Körperbau bekräftigte seine Autorität. May saß nahe genug, um zu erkennen, dass Mosley statt des dicken, seitlich geknöpften Baumwollhemdes, das seine Begleiter bevorzugten, ein schnittigeres Modell aus Seide trug. Seine schwarzen Augen glänzten. Das Publikum war hypnotisiert. Die wie Dynamit wirkende Kombination aus Hochmut und sexueller Anziehungskraft brachte es zum Schweigen. Hinter May flüsterte eine Frau ihrer Nachbarin zu: »Auf mein Wort, Glenda, was für eine vor Kraft strotzende Bestie!«
    May wusste genau, was sie meinte. Sie überlegte, was wohl passieren würde, wenn eine Frau mit Oswald Mosley allein wäre. Sie könnte Mrs Cage fragen, die die Antwort herausgefunden haben musste, als sie in Cuckmere das blumengeschmückte Frühstückstablett aufs Gästezimmer gebracht hatte und mit hochroten Wangen zurückgekehrt war.
    Oswald Mosley hob die Arme und holte tief Luft. Sein Brustkorb weitete sich wie der eines Olympiaschwimmers kurz vor dem Kopfsprung. Als er zu reden begann, hoben plötzlich mehrere Dutzend Menschen ihre Zeitungen, als wollten sie darin lesen, und brachten ein synchronisiertes Rascheln hervor, das den Saal erfüllte. Die Wachposten traten unruhig von einem Bein aufs andere. Hinter dem Schutzwall all der hochgehaltenen Daily Workers ertönte ein Schwall von Beschimpfungen, gegen den Mosley während seiner Rede ankämpfen musste. Nach etwas mehr als einer halben Minute ununterbrochenen Sperrfeuers hielt Mosley mitten in seinen Angriffen gegen die jüdischen Geldgeber der Labour Party inne und warnte, dass gegen jede Störung im Saal entschieden vorgegangen werde. Aber die Zwischenrufe hinter dem anonymen Schutz der Zeitungen wollten nicht enden.
    Von irgendwo aus dem Saal ertönte der Ruf »Rotfront«, gefolgt
von einem begeisterten Beifallssturm. Zwei oder drei Schwarzhemden rückten in den Mittelgang vor.
    »Sollte jemand diese Worte wiederholen, wird er des Saales verwiesen!«, donnerte Mosley, und um zu unterstreichen, dass er seine Drohung ohne Verzug wahrmachen würde, fügte er hinzu: »Und zwar umgehend!« Seine überartikulierten Vokale schallten durch den Saal.
    »Bleibt standhaft!«, brüllte er.
    Inzwischen hatte sich der bebrillte Mann, dessen Haare sich in heilloser Verwirrung aufrichteten, einen Weg zur Mitte des Saals gebahnt, wo er sich in einem Dickicht aus erhobenen Stühlen und Fäusten verfing.
    »Rotfront!«, kam wieder der Ruf von hinten.
    Einer der Schwarzhemden griff nach einem Stuhl, den er dem bebrillten Mann mit voller Wucht ins Gesicht schlug; gleichzeitig sah May, wie er ihm ein Knie zwischen die Schenkel rammte. Die Brille fiel zu Boden. Der Lärm im Saal war frenetisch. Ein anderer von Mosleys Männern hatte seinen Gürtel aus den Schlaufen gezogen, sodass sie die hervorstehenden spitzen Nägel sehen konnte, die unter der glänzenden Schnalle verborgen waren. Er schwang den Gürtel über dem Kopf und ließ ihn mit einem Hieb auf das Gesäß eines der Männer von Cowley herabsausen. Als die Konfrontation zu einer beängstigenden Schlacht auszuarten begann, stürmte ein halbes Dutzend Polizisten den Versammlungsraum.
    »Alle Frauen sofort aufs Podium!«, hörte May jemanden rufen, doch die Anwesenden, einschließlich der Frauen, bemühten sich, dem furchteinflößenden Geschehen so schnell wie möglich durch den

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