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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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Haupteingang zu entkommen. May sah noch, wie Mosley, eskortiert von zweien seiner Männer, durch eine Seitentür verschwand, doch sie konnte weder das soeben entbrillte Opfer noch das vertraute Tweedjackett entdecken.
    May wollte eben den Saal verlassen, als sie sich noch einmal nach dem leeren Podium umdrehte. Unter dem Klavier, einen
Meter von der Stelle entfernt, wo Mosley nur wenige Minuten zuvor herausfordernd seine schwarzen Stiefel postiert hatte, bewegte sich etwas. Sie sah, wie Julian langsam aus seinem Versteck hervorkroch. Seine Beine waren von der unbequemen Haltung während der vergangenen halben Stunde ganz steif, sein sonst so geradliniges Gesicht wirkte sichtlich zerknittert.
    »Frank, haben Sie Frank gesehen? Diese verfluchten Nazis! Was haben sie mit Frank gemacht?«, rief er, als er durch den Saal auf sie zugewankt kam. »Das Zeichen zum Angriff habe ich gegeben!«, stammelte er. »Ich war es, der ›Rotfront‹ gerufen hat! Ich bin schuld, wenn Frank etwas passiert ist.«
    Julian vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter, und May nahm ihn zaghaft in die Arme. Als er sich schließlich aus ihrer Umarmung löste, blickte er zu ihr auf. Sein Gesicht war tränenüberströmt.

SOMMER
Erwartung
     

13
    May freute sich auf den Sommer. Sie vermisste die Wärme, die noch bis vor kurzem ein so grundlegender Bestandteil ihres Lebens gewesen war. Ihr Geburtsmonat, nach dem sie benannt war, hatte einen willkommenen Temperaturanstieg mit sich gebracht, und sie hoffte, der Juni würde es ihm nachtun.
    Am Wochenende nach Mays zweiter Begegnung mit Mosleys Gefolgsleuten hatte es in der Oak Street eine kleine Feier gegeben. Auf dem Wohnzimmertisch war eine Torte von Fuller's aufgetaucht, die gleiche wie damals, als sie und Sam so herzlich von der ganzen Familie begrüßt worden waren, nur dass im weichen Zuckerguss diesmal zwanzig Kerzen steckten.
    »Geht doch nichts über eine saftige Torte«, hatte Rachel bemerkt, als May die Kerzen ausblies. »Versuch mal, wenn du einen Biskuitkuchen isst, mit vollem Mund ›Schönes Schmusekätzchen‹ zu sagen, dann verstehst du, was ich meine«, fügte sie augenzwinkernd hinzu und stand auf, um eine Flasche Milch zu holen.
    Simon verdrehte die Augen über die unvergleichliche Art seiner Frau, vor sich hin zu plappern. Aber May machte sich nichts daraus. Sie befand sich in einem Zustand immer größer werdender Anspannung; sie fand einfach keine Lösung auf die Frage, wie ihre Freundschaft mit Julian sich entwickeln sollte, selbst wenn sie ihre Gefühle vor jedermann verbarg, besonders vor Julian selbst. Er hatte vergessen, sie darum zu bitten, ihm das Hemd zurückzugeben, das er ihr in Wigan geliehen hatte, und in der Verschwiegenheit ihres Schlafzimmers zog sie es jede Nacht über ihre nackte Haut und schlang ihre flanellbedeckten Arme um sich. Seit er nach Oxford zurückkehrt war, hatte sie ihn nur selten gesehen. Er war dort geblieben und büffelte für seine Abschlussprüfung, tagsüber in der Bodleian Library und nachts in seiner Studentenbude im Magdalen College.
    Eines Abends aber, nur zwei Tage nach dem Drama der faschistischen Versammlung, war sie ihm zufällig in der Eingangshalle in der Hamilton Terrace in St John's Wood begegnet, und er hatte sie gefragt, was sie vorhabe.
    »Wann?«, hatte sie ihn gefragt und gewünscht, ihr würde nicht eine allzu verräterische Röte ins Gesicht steigen.
    »Jetzt. In diesem Augenblick«, erwiderte er. »Ich muss mich ablenken und einen Abend verbringen, an dem ich nicht über tote Philosophen, uniformierte Schläger oder diesen Albtraum von Mutter nachdenken muss. Auf meinen Wanderungen auf dem Addison's Walk muss ich Hunderte von Meilen zurückgelegt haben. Die Säulengänge des College helfen mir, mich zu konzentrieren. Sie geben mir eine neue Perspektive auf die faszinierende Frage, warum ein Tisch auch dann noch im Zimmer ist, wenn ich selbst nicht im Zimmer bin.« Als er Mays verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, verstummte er. »Das sind die alles beherrschenden Gedanken eines Philosophiestudenten, der kurz vor der Abschlussprüfung steht«, rechtfertigte er sich. »Wie auch immer, wären Sie so lieb und reizend, mich vor meinen Gedanken zu retten, indem Sie mit mir heute Abend ins Trocadero gehen, um Mr Deeds geht in die Stadt zu sehen? Mit Gary Cooper und Jean Arthur, und die bringt mich zum Lachen.«
    Und so hatten sie sich zusammen den Film im Trocadero am Piccadilly Circus angeschaut. Weil beide danach Hunger hatten,

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