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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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mich lieben soll. Und so habe ich das Licht elterlicher Liebe, so wie Sie sie erfahren haben, nie gekannt. Darum«, fügte er schlicht hinzu, »beneide ich Sie.«
    Nachdem ihn May an der Birmingham Station abgesetzt hatte, von wo aus er den Zug nach Oxford nehmen wollte, fragte sich Julian, ob er womöglich zu viel preisgegeben hatte. Ein Thema, das sie nicht angesprochen hatten, war die verstörende Liebesaffäre, in die das Staatsoberhaupt verwickelt war. Während dies ein von außen auferlegtes Tabu darstellte, das sie zur Geheimhaltung verpflichtete, wurde allerdings auch ein anderes Thema großzügig vermieden. Denn zwischen ihm und May war etwas im Entstehen, das ebenso wenig zur Sprache kommen konnte. Kaum hatte Julian Tennyson und das Wesen elterlicher Liebe erwähnt, hatte er seine Hand wieder zurückgezogen. Doch schon im selben Moment verspürte er das dringende Bedürfnis, sie wieder auf die ihre zu legen.
     
    Es war Ende April, und Julian war für sein letztes Prüfungstrimester am Magdalen College. Die violette Wisteria rankte sich in der Hamilton Terrace bereits über den Zaun, als May Sir Philip nach Oxford fuhr. Nach einer Besprechung mit dem Rektor des Balliol College, einem alten Freund aus Studententagen, der zugleich Vizekanzler der Universität war, würde Sir Philip in seinem alten College übernachten. Nachdem sie ihren Arbeitgeber abgesetzt hatte, wollte May schon die lange Heimfahrt antreten, aber nach kurzem Nachdenken änderte sie ihren Plan.
Sie wusste, irgendwo hier, in irgendeinem dieser alten Innenhöfe oder in einer der Bibliotheken, würde sie Julian finden.
    Sie begann ihre Suche in dem Café, in dem Julian zufolge das beste Ingwerbier der Welt serviert wurde. Seit vierzig Jahren stand das George unbehelligt inmitten der Hallen des Marktes, der im Herzen der Stadt lag und wie ein überdachtes Dorf aus Einzelläden wirkte. Über den Obstständen, dem Fischmarkt und dem erstklassigen Fleischer hing der Duft exotischen Kaffees. May nahm an einem Ecktisch in der Nähe der Tür Platz, die völlig mit Anzeigen für Fahrradreparaturen, Chinesischunterricht, Fremdenzimmer und alle möglichen Freizeitbeschäftigungen bedeckt war, darunter Aushänge für Amateurtheateraufführungen, Filmklubs, Verkostungen von Weingesellschaften, die Ankündigung eines Vortrags des irischen Dichters Louis MacNeice am Merton College vor der Literaturgesellschaft der Universität sowie des nächsten Treffens des Oxforder Hamsterklubs. Ein Flugblatt fiel ihr besonders auf. Am selben Nachmittag um drei Uhr sollte in den Carfax-Versammlungsräumen an der Kreuzung der beiden größten Straßen der Stadt eine öffentliche Versammlung von Oswald Mosleys Partei, der New Party, stattfinden.
    »Mosley höchstpersönlich in Oxford!«, verkündete das Plakat.
    May sah auf ihre Armbanduhr. Die Versammlung würde in einer halben Stunde beginnen. Sie fragte die Kellnerin nach dem Weg und durchquerte, so schnell sie konnte, eine Reihe schmaler Gassen, in denen sie Radfahrern in Talaren und Frauen mit Einkäufen ausweichen musste, bis sie zehn Minuten später den Saal erreichte. Obwohl der große Raum fast gefüllt war, fand sie in der vierten Reihe einen leeren Metallstuhl und setzte sich. An den Wänden des Saals standen Männer wie Wachposten, die Arme vor ihren eng anliegenden Fechthemden gekreuzt, die Hosen von Gürteln gehalten, auf deren Schnallen das Emblem der New Party, ein Blitzstrahl in einem Kreis, geprägt war, die
Hosenbeine in Schaftstiefel gesteckt. Trotz ihrer Uniform wirkten die Männer nicht sonderlich bedrohlich, und May drängte sich der Gedanke auf, dass die strenge Kleidervorschrift etwas Attraktives hatte.
    Die Frau neben ihr fing Mays bewundernden Blick auf. »Sie würden nicht so viel von ihm halten, wenn Sie mit einem Mann aus Cowley verheiratet wären«, sagte sie mit einem missbilligenden Schnaufen. »Kriegt keine Arbeit, mein Clive, nicht für Geld und gute Worte. Wir wollen wissen, was Mosley gegen die Arbeitslosigkeit bei den Morris-Werken unternehmen will. Einige haben gut lachen, nicht wahr?«
    Als die Frau ihre schmucke Chauffeurslivree musterte, zuckte May unter ihrem vorwurfsvollen Blick zusammen und war erleichtert, dass sie den Rolls-Royce in sicherer Entfernung des Saals geparkt hatte. Schräg vor ihr, auf der anderen Seite vom Gang, entdeckte sie eine vertraute Gestalt in einem Tweedjackett, die in eine Unterhaltung mit einem jüngeren Mann mit Brille und wildem Haarschopf vertieft

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