Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
außergewöhnlichen Erinnerungen an diese Zeit. Ich glaube allerdings, dass in meiner Grundschulzeit etwas passiert ist, was aus heutiger Sicht der Ursprung dessen ist, dass mein Weg irgendwann einmal dazu führte, ein Instrument zu erlernen.
Ich weiß genau, dass ich an irgendeinem Tag von der Schule nach Hause gekommen bin und kaum noch gesprochen habe. Ich beschränkte mich nur noch auf knappe Sätze und war ängstlich und zurückhaltend. Ich konnte nicht ertragen, wenn mich andere ansahen und mir Fragen stellten oder mit mir reden wollten. Ich habe darauf immer nach unten geschaut und nicht geantwortet.
Wann das genau anfing, weiß ich heute nicht mehr. Und auch den Grund dafür kenne ich bis heute nicht. Allerdings änderte sich mein Leben ab diesem Moment grundlegend. Gerade was das Schulische und den Umgang mit anderen Menschen anging. Ich zog mich zur damaligen Zeit immer mehr von meiner Umgebung zurück. Von da an gingen meine schulischen Leistungen in den Keller. Gerade was die mündliche Mitarbeit betrifft. Sie existierte bei mir praktisch nicht mehr, da ich nichts mehr sagte. Ich konnte die Blicke der anderen einfach nicht ertragen und die Angst, etwas falsch zu machen, wuchs in mir von Tag zu Tag.
Ich glaube, meine Eltern mussten sich damals ganze Arien von Eventualitäten anhören, warum ich nicht mehr sprach. Ich weiß noch genau, wie man mich zu unzähligen Psychologen brachte und alle Hebel in Bewegung setzte, meine Sprachblockade wieder zu lösen und mir Selbstbewusstsein einzuflößen. Meine Mutter klebte mir kleine Zettel in meine Tasche, auf Bücher und einfach auf alles, was mich umgab. Auf denen stand dann »Du schaffst das« oder »Hab keine Angst«. Diese Botschaften halfen mir damals sehr. Ich wusste, dass ich nicht alleine war. Allerdings lösten sie das Problem nicht.
Meine Eltern zweifelten zur damaligen Zeit naturgemäß auch an sich selbst und suchten einfach nach einem Grund oder einer Lösung. Was ich damals darüber dachte, kann ich heute nicht mehr ergründen. Ich suchte mir einfach Hobbys und sonstige Dinge, bei denen ich nicht sprechen musste.
Der Sport war das Erste, was ich damals für mich in dieser Situation entdeckte. Dabei brauchte ich nicht zu reden und ich merkte schnell, dass ich genau so sein kann wie andere und bekam durch gute Leistungen Respekt und Aufmerksamkeit der anderen Kinder und auch der Lehrer. Ebenso begann ich zu zeichnen. Ich verbrachte Nachmittage damit, einfach Figuren und Karikaturen zu zeichnen. Im Grunde habe ich Dinge gemacht, bei denen ich nicht sprechen musste und mich niemand ansah. Damit war ich zu dieser Zeit glücklich.
Außerhalb der Schule machte ich es nicht anders. Ich verbrachte unzählige Nachmittage alleine zu Hause und beschäftigte mich mit meinen Zeichnungen. Zudem entdeckte ich die Freude am Tischtennisspielen. Mein Vater betrieb den Sport damals im Verein und somit meldete er mich dann dort auch an. Freunde hatte ich in dieser Zeit nicht viele. Im Grunde nur einen einzigen, der mich so akzeptierte, wie ich eben war.
Die darauffolgenden Jahre lernte ich damit zu leben, wie ich bin. Im Grunde war ich ein stilles Kind und meine Zurückhaltung und das wenige Sprechen und die Angst, anderen in die Augen zu schauen, wurde für mich zur Normalität. Wenn ich diese Zeilen hier schreibe, bin ich selbst über meine Ansicht, so etwas als normal zu empfinden, fast geschockt. Aber damals war es so. Ich denke, ich habe mich einfach damit arrangiert, wie die Dinge waren. Irgendwann ist man auch einfach zu müde, immer wieder Gründe zu suchen, warum die Dinge so sind, wie sie eben sind, oder sich zu ändern, damit andere einen als normal ansehen.
Aus heutiger Sicht kann ich es nur so erklären. Ich kannte es einfach nicht anders und trotz der gegebenen Umstände war ich ein glückliches Kind. Ich hatte meine Hobbys und einen sehr guten Freund, der mich so akzeptierte, wie ich war.
Es ist ja nun nicht so, dass ein Mensch, der stottert, nicht weiß, was er eigentlich gerne sagen würde. Ganz im Gegenteil! Je mehr sich diese Schwäche in meinem Leben breitmachte, desto stärker war ich darauf bedacht, mir im Vorfeld ganz genau zu überlegen, was ich gerne zum Ausdruck bringen würde. Während Kinder in meinem Alter vermutlich einfach drauflosgeplappert hätten, versuchte ich im Laufe der Zeit, geradezu planmäßig vorzugehen, um dann erneut wieder an einem Wort oder einer Silbe scheitern zu müssen.
Das Schlimmste, was einem Stotterer in
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