Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)

Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)

Titel: Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unheilig
Vom Netzwerk:
greifbar. Und gerade aus dieser Zeit, die im Grunde gar nicht mehr präsent sein sollte, stammt meine erste Erinnerung. Ich sehe mich, wie ich mich auf allen vieren von meinem Kinderzimmer aus ins Bad bewege. Es hat blaue Fliesen und dort, auf dem flauschigen Teppich, steht meine Mutter am Waschbecken. Sie dreht sich um, sieht mich – und freut sich. Der kleine Junge, der noch nicht gehen und auch noch gar nicht bewusst denken kann, schaut hoch und fühlt die Wärme und Geborgenheit, die von diesem Menschen ausgeht …
    Und dann wird es für lange Zeit dunkel. Da ist nichts mehr, was aufblitzen könnte – keine Stimmen, keine Bilder und auch keine greifbaren Gefühle. Alles, was aus diesen ersten Jahren bleibt, ist dieses Gefühl der uneingeschränkten Geborgenheit, das mich auch heute noch umgibt, wenn ich nach Hause komme …
    Es wäre für ein Musikerleben mit Sicherheit einprägsamer und vor allem auch deutlich dramatischer, wenn ich von einer schweren Kindheit berichten könnte. Von Kälte und Einsamkeit, von der Anonymität der Großstadt und der Brutalität eines Hochhausgettos. Aber da war vielmehr eine Kleinstadt, die fast schon ländlichen Charakter hatte. Es herrschte eine mittelständische Ruhe und Friedfertigkeit um mich herum, die in den ersten sechs oder sieben Jahren meines Lebens weder Tragödien noch Verwerfungen hervorbringen konnte. Ich sehe die große Wiese hinter unserem Haus, auf der Kühe grasten und auf der ich an der Seite meiner Freunde – mit Pfeil und Bogen bewaffnet – die Welt eroberte. Ich rieche den geräucherten Schinken und die Würste aus der Metzgerei neben meinem Elterhaus und ich sehe meine großen Vorbilder dieser Jahre – meinen Vater und meinen älteren Bruder –, wie sie auf dem Speicher Tischtennis spielen oder die ferngesteuerten Flugzeuge durch die Lüfte kreisen lassen, die sie in mühevoller Kleinarbeit daheim zusammengebastelt hatten …
    Im Wohnzimmer sah es aus, wie Wohnungen in den 70er-Jahren aussahen. Bunt, Nierentische, Holzwand mit eingelassenen Lampen, Schwarz-Weiß-Fernseher, Aquarium mit Magnetschwamm, weiche Teppiche – fast ein wenig wie bei Austin Powers, nur eben zeitgemäß und echt.
    Auf dem Boden lag der Hund, dessen Gutmütigkeit in regelmäßigen Abständen von meinem Bruder auf die Probe gestellt wurde und welche das treue Tierchen auch nur einmal im Stich ließ, als er diesem irgendwann entnervt hinterherjagte. Was den kleinen Störenfried aus bis heute unerfindlichen Gründen dazu bewog, Schutz suchend auf den Gasherd zu springen, wo er sich zur Strafe gehörig seinen Hintern verbrannte.
    Eine heile Welt, in der der kleine Graf von früh bis spät nur lachte. So zumindest wird es heute erzählt, wenn man sich daran erinnert, dass ich zu jener Zeit nur »Strahlemann« genannt wurde – was auch daran gelegen haben mochte, dass ich ein wenig aussah wie der Junge von der ersten Kinder-Schokolade-Schachtel. Topffrisur aus Mutters Hand, bunte Klamotten, Sandalen mit Kniestrümpfen und eine Schiebermütze mit Anker auf dem Kopf, die man ja nicht nur von Helmut Schmidt, sondern auch von dem in diesen Jahren für einen Jungen meines Alters doch deutlich interessanteren Michel aus Lönneberga kannte.
    Mein Kindergarten war ein rein katholischer und lag somit direkt neben einer sehr imposant aussehenden Kirche. Ich finde den Anblick der Kirche noch heute als Erwachsener sehr beeindruckend. Ich denke mal, uns Kindern kam sie damals zehnmal so groß vor und war wohl dementsprechend Respekt einflößend für uns alle.
    Meine Mutter sagte mir, dass ich schon recht früh ziemlich verwirrt gefragt habe, warum der Mann da am Kreuz hängt und wieso die ganzen Figuren in der Kirche immer sehr leidend aussahen und wieso Pfeile in den Körpern steckten. Sie hat mir erklärt, dass das alles Heilige wären, womit ich zu diesem Zeitpunkt nicht sonderlich viel anfangen konnte, geschweige denn die biblischen Zusammenhänge verstand. Ich habe es akzeptiert und hingenommen.
    Ich erinnere mich allerdings daran, dass wir als Kinder im Kindergarten jeden Morgen und ab und zu am Tage gemeinsam gebetet haben und uns damals schon beigebracht wurde, wer der liebe Gott ist und was es damit auf sich hat. Wir sollten schön brav sein, weil wir sonst in die Hölle kämen oder bestraft würden. Wir bastelten und werkelten in diesem Kindergarten immer unter der Obhut von zwei Kindergärtnerinnen.
    Der Gottesdienst war Teil des ganz normalen Tagesablaufs, ebenso wie das

Weitere Kostenlose Bücher