Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
überhaupt nicht. Dort war ich noch immer vergeblich auf der Jagd nach etwas, was mir Respekt verschafft hätte. Und so bin ich eines Tages einfach ausgerastet. Ich drosch meine Schläger kaputt und schrie in die Welt, dass ich nie wieder Tischtennis spielen würde. Ich wollte Lob und Anerkennung – aber ich bekam beides nicht. Und es sollte noch schlimmer kommen …
Der Vorhof zur Hölle
Mit meinen Noten, die ich mir allesamt durch meine im Grunde nicht vorhandenen mündlichen Leistungen verbaut hatte, und dank der Ansicht meiner Lehrer, ich wäre als Schüler zu mehr offenkundig nicht fähig, blieb am Ende nur die Hauptschule. Hatte ich die Grundschule schon als Vorhölle betrachtet, so schien es nun, als sei ich endgültig in der ewigen Finsternis angekommen. Mir stand die schlimmste Zeit meines Lebens bevor.
Ich sehe die Bilder noch vor mir, als wäre das Ganze gerade eben geschehen. Wie ich am ersten Schultag mit meiner Mutter auf dem Pausenhof der Hauptschule ankam und sogleich Augenzeuge einer wüsten Schlägerei zwischen zwei Schülern werden durfte. Szenen, die so nicht in meine wohlbehütete Welt passen sollten, und ich mich aus diesem Grund auch mit Händen und Füßen gegen diese Schule gewehrt hatte. Aber es gab keinen Ausweg.
Wenn ich heute – über diesen Zeilen sitzend – darüber nachdenke, wird mir ganz flau. Was für ein erbarmungsloser Kreislauf! Ein kleiner Junge wird mit dem Druck einer Grundschule nicht fertig und fängt das Stottern an. Wegen dieser Sprechstörung jedoch werden seine Leistungen derart schlecht bewertet, dass er es nur in die Hauptschule schafft. Und genau dort gerät er in die nächste, sehr viel schlimmere Falle. Was ihn an dieser Schule an sozialem Druck, Spott und Unterdrückung erwartet, übertrifft alles, was bis dahin gewesen war, und droht, den Jungen gleichsam im freien Fall abstürzen zu lassen.
Retten konnte mich auch hier – in dieser deutlich raueren Umgebung – nur der Sport. In meiner Klassenstufe verschaffte ich mir erneut mit Fußball und Leichtathletik den Respekt, der mir aufgrund meiner Sprechstörung ansonsten versagt geblieben wäre, und ich versuchte, meine schulischen Leistungen trotz aller Rückschläge so zu steigern, dass ich es irgendwie doch noch auf die Realschule schaffen würde. Und es gelang. Nach einem Jahr in der Hölle gelang mir nach der fünften Klasse tatsächlich der Wechsel in die Realschule. Es bestand also doch noch Hoffnung auf etwas Licht in meinem zu jener Zeit leider sehr düsteren Leben …
Musik als Sprache
Im Grunde bin ich ein Kind der 80er-Jahre und hatte zu jener Zeit alles aufgesogen, was musikalisch auf die Menschheit losgelassen wurde. Im Fernsehen gab es Pflichttermine, die keiner verpassen durfte: Die ZDF Hitparade , Disco mit Ilja Richter und natürlich ab 1983 die Sendung Formel Eins mit Peter Illmann und später Ingolf Lück – und aus der Stereoanlage ertönten in unserem Haus Country-Musik-Kassetten, die mein Vater aus dem Radio aufgenommen hatte.
Meine erste Platte, die ich mir von meinem eigenen Geld gekauft hatte, war Trio – Da Da Da. Der Sound dieses Liedes stammte – wie ich später erfahren konnte – von einer Casio-Spielzeugorgel … Ob es nun der Da Da Da-Beat war oder am Ende ein anderes, von Dieter-Thomas Heck anmoderiertes Musikstück – eines Tages, irgendwann in der fünften Klasse, überkam mich einfach der Wunsch, ein Instrument zu lernen.
Meine Eltern, die mir zu jedem Zeitpunkt alle Wünsche erfüllen wollten, zögerten nicht lange und kamen meiner Bitte nach. Es war ihnen wichtig, alles zu tun, um ein wenig Normalität in mein ansonsten doch ungewöhnliches Leben zu bringen. So sehr ich auch heute über meine damalige Instrumentenwahl nachdenke, kann ich nicht restlos erklären, wie es dann letztlich eine Orgel werden sollte. Vielleicht gebührt mein später Dank doch Stephan Remmler und seinem schlichten Casio-Keyboard …
Aber es wurde kein Keyboard, sondern eine Heimorgel – und zwar eine mit zwei Klaviaturen für Bass- und Rhythmusbegleitung. Solch ein Instrument musste es also sein, die Standard-Orgel für dauergrinsende Alleinunterhalter, die sich auf Geburtstagen oder Hochzeiten was nebenbei verdienten. Aber sei’s drum.
Meiner Familie ging es zu jener Zeit finanziell einigermaßen gut. Wir hatten zwar keine Reichtümer vorzuweisen, aber echte Geldsorgen gab es auch nicht. Allerdings war dieses merkwürdige Instrument, das ich mir da ausgesucht hatte, auch
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