Als Mutter streikte
eine Arbeit weniger. Ich -»
Irgendwo in dem still vor sich hin träumenden Haus schlug eine Tür. «Das ist sicher Perse», sagte ich. «Wir sagen es ihr am besten gleich. Niemand hängt so an Mutter wie Perse.»
Wenn Vater diesen Namen hörte, zuckte er regelmäßig zusammen. Als meine Mutter und er meiner jüngeren Schwester den klangvollen Namen Persephone gaben, konnten sie nicht ahnen, daß man ihn so verstümmeln würde. «Kannst du dir nicht endlich angewöhnen, sie Persephone zu nennen? So heißt sie nämlich.»
Die Tür ging auf, und Perse kam herein. «Wo ist Mutter?» fragte sie.
«Damit du es gleich weißt: sie ist abgehauen», bellte Vater.
Ich ging auf meine kleine Schwester zu und wollte ihr den Arm um die Schulter legen, was nicht ganz einfach war, denn sie war mit Taschen, Beuteln und Turnschuhen behängt wie ein Hutständer. Ich drückte sie in einen Stuhl. «Mit wem?» fragte sie.
«Mit niemand», sagte Vater gereizt. «Du kennst doch deine Mutter. Sie braucht niemand.»
Perse schwieg. Nach einer Weile schlug sie hilfsbereit vor: «Wie man Hummer Thermidor macht, weiß ich. Theoretisch jedenfalls.» Dann schwieg sie wieder und sagte schließlich mit
dünnem Stimmchen: «Ich finde, sie hätte uns das wenigstens sagen sollen.»
«Sie hat es selbst vorher nicht gewußt», sagte Vater.
Perse saß zusammengesunken auf ihrem Stuhl, noch immer behängt mit der ganzen Schulausrüstung einer Zwölfjährigen. Ihr langes, hitzefeuchtes Haar hing ihr ins Gesicht wie brauner Seetang. Die kleinen tintenbeklecksten Finger lagen rührend hilflos auf ihren Knien. Sie sah erhitzt, verstört und verloren aus. Sie stand auf. «Können wir wohl jetzt Tee trinken? Ich komme um vor Hunger.»
Ich gab ihr einen Kuß. «Lauf und wasch dich, Vater und ich machen das schon.»
Sie dampfte ab, behängt wie ein Boot mit Fendern. Arme Kleine, dachte ich, mit ihren zwölf Jahren glaubt sie alles zu wissen über die Liebe, den Dreißigjährigen Krieg und die Zusammensetzung von H 2 0. Nur von der menschlichen Natur hatte sie nicht die geringste Ahnung, während ich mit meinen siebzehn zwar eine ganze Menge vom Leben wußte, aber von der Liebe weit weniger, als ich zugeben mochte. Mich hatte Mutters Fortgehen keineswegs überrascht, eher daß sie es so lange zu Hause ausgehalten hatte. Häuslichkeit war nicht ihre Stärke.
Vater sah mich verlegen an. «Ich war wohl etwas zu direkt, was?»
«Perse kommt darüber schon hinweg», sagte ich. «Sie ist zäh wie Leder. Die hättet ihr auf ’ne Jungenschule schicken sollen. Was sollen wir ihr zu essen machen?»
«Kein Problem. Pochiert oder gekocht, das ist hier die Frage.» Zufrieden stellte ich fest, daß Vater zur Praxis überging.
Wieder schlug eine Tür zu. «Das ist Trubshaw», sagte ich.
Ich hörte, wie er die Treppe hinauf ins Kinderzimmer polterte, und folgte ihm. «War’s schön in der Schule?» fragte ich munter.
Er starrte mich an und schüttelte den Kopf. Trubshaw hatte, obwohl er erst ein halbes Jahr in der Schule war, schon festgestellt, daß man dort nur seine Zeit verschwendete.
«Was habt ihr heute gelernt?» fragte ich.
Er überlegte krampfhaft. «Nichts», erklärte er bündig.
Eigentlich ein Jammer, daß alle ihn Trubshaw nannten, wo er doch zwei so schöne Vornamen wie Nicholas und Anthony hatte, aber irgendwie paßte Trubshaw zu ihm. Er war pummelig, nachdenklich und ständig mit sich selbst beschäftigt. Ich hielt es für das beste, mit Erklärungen zu warten, bis er selber Mutters Abwesenheit bemerkte - falls er sie überhaupt bemerkte. Mit übertriebenen Gefühlsäußerungen war von seiner Seite nicht zu rechnen.
Im Kinderzimmer waren die Jalousien herabgelassen, schmale Sonnenstreifen flimmerten auf den Wänden. Das stille Dämmerlicht des Raums lud zum Schlafen ein. Ich stellte mir vor, wie schön es sein müßte, einfach den Kopf auf das kühle Kissen zu legen und zu weinen oder zu schlafen - oder auch beides, während draußen die Sonne sengte. Aber dazu war keine Zeit. Trubshaw war nach einem heißen Schultag so klebrig wie ein Honigtoast. Ich nahm ihn mir also erst einmal im Badezimmer tüchtig vor und ging dann mit ihm in die Küche, wo ich Vater am Werk sah. «Hartgekochte sind einfacher», sagte er. «Pochierte müssen wir uns für festliche Stunden vorbehalten. Außerdem will ich nicht alle meine Pfeile gleich zu Anfang verschießen.»
Ich schnitt das Brot, die Butter konnte sich jeder selber drauf streichen. Perse machte den
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