Als Mutter verschwand
Restaurant zu gehen, weil sie, wie sie sagte, gern mal was essen wollte, was jemand anders gekocht hatte, irgendwo, wo es viele Panchan gab. Die Familie diskutierte, ob man nicht all die verschiedenen Ahnenrituale auf einen Tag zusammenlegen solle, aber sie sagte, das könnten sie ja dann tun, wenn Hyong-Chols Frau dafür zuständig wäre. Zu ihren Lebzeiten, sagte sie, würden sie einzeln abgehalten. Aber im Unterschied zu früher vergaà deine Frau dann immer irgendwas für den Ahnenritualstisch und musste vier- oder fünfmal einkaufen gehen. Du hast es einfach für etwas gehalten, das jedem passieren könnte.
Im Morgengrauen klingelt das Telefon. Um diese Zeit? Voller Hoffnung nimmst du ab.
»Vater?«
Es ist deine ältere Tochter.
»Vater?«
»Ja.«
»Warum gehst du nicht ans Telefon? Und dein Handy hast du auch nicht an!«
»Was ist denn?«
»Ich war schockiert, als ich gestern von Hyong-Chol gehört habe, dass du nach Hause gefahren bist ⦠Warum denn so plötzlich? Du hättest es mir sagen sollen. Du kannst doch nicht einfach so abreisen und dann nicht ans Telefon gehen.«
»Ich habe geschlafen.«
»Geschlafen? Die ganze Zeit?«
»Scheint so.«
»Was willst du denn da ganz allein?«
»Kann doch sein, dass sie hierherkommt.«
Deine Tochter schweigt. Du schluckst; deine Kehle ist trocken.
»Soll ich kommen?«
Von allen Kindern sucht Chi-Hon am intensivsten nach deiner Frau, wahrscheinlich, weil sie unverheiratet ist. Der Apotheker aus Yokchon-dong war der letzte Anrufer, der eine Frau gesehen haben wollte, die wie deine Frau aussah. Dein Sohn hat noch weitere Zeitungsanzeigen aufgegeben, aber es hat sich niemand mehr gemeldet. Selbst die Polizei gibt zu, dass sie alles getan hat und nur noch auf Hinweise warten kann. Aber deine Tochter fährt jede Nacht von Notaufnahme zu Notaufnahme und fragt dort nach.
»Nein ⦠Ruf einfach nur an, wenn du irgendwas hörst.«
»Wenn du da zu einsam bist, komm einfach wieder her, Vater. Oder bitte die Tante, bei dir zu wohnen.«
Die Stimme deiner Tochter klingt merkwürdig. Als ob sie getrunken hätte.
»Hast du getrunken?«
»Nur ein bisschen.« Sie will das Gespräch schon beenden.
Getrunken bis in den Morgen? Du sagst schnell ihren Namen ins Telefon. »Ja?«, antwortet sie mit schwerer Stimme. Deine Hand, die den Hörer hält, wird feucht. Deine Beine geben nach, und du sinkst auf den Boden. »An dem Tag ging es deiner Mutter nicht gut genug, um nach Seoul zu fahren. Wir hätten nicht fahren dürfen ⦠Am Tag vorher hatte sie solche Kopfschmerzen, dass sie den Kopf in eine Schüssel mit Eis gelegt hat. Sie hat mich nicht rufen hören. In der Nacht habe ich sie in der Küche gefunden, mit dem Kopf im Gefrierschrank. So schlimm waren die Schmerzen. Dann hat sie vergessen, Frühstück zu machen, aber trotzdem gesagt, wir müssten nach Seoul â ihr würdet alle auf uns warten. Da hätte ich Nein sagen müssen. Ich glaube, mein Urteil lässt nach, weil ich alt und schwer von Begriff werde. Ein Teil von mir hat gedacht, diesmal könnten wir sie in Seoul dazu bringen, ins Krankenhaus zu gehen ⦠Kurz und gut, ich hätte besser auf sie achten müssen. Es ging ihr schlecht, und statt mich um sie zu kümmern, bin ich vor ihr hergerannt, als wir in Seoul aus dem Zug gestiegen waren ⦠aus reiner Gewohnheit. Darum ist es passiert.« Das, was du deinen Kindern nicht ins Gesicht sagen konntest, strömt jetzt aus dir heraus.
»Vater â¦Â«
Du hörst zu.
»Ich glaube, alle Welt hat Mama vergessen. Es ruft niemand mehr an. WeiÃt du, warum Mama am Tag zuvor solche Kopfschmerzen hatte? Weil ich ein Biest war. Das hat sie selbst gesagt.« Die Stimme deiner Tochter klingt verwaschen.
»Das hat sie gesagt?«
»Ja ⦠ich wusste, ich konnte nicht zur Geburtstagsfeier kommen, also habe ich sie von China aus angerufen und gefragt, was sie gerade macht. Da hat sie gesagt, sie gieÃt gerade Schnaps in eine Flasche um. Für den Jüngsten. Du weiÃt ja, er trinkt zu viel. Ich weià auch nicht, eigentlich war es ja nicht meine Sache, aber ich wurde sauer. Er muss wirklich mit der Trinkerei aufhören ⦠Und Mama wollte ihm Schnaps mitbringen, weil ihr Kleiner den nun mal so gern mag. Also habe ich zu Mama gesagt, âºSchlepp nicht das
Weitere Kostenlose Bücher