Als Mutter verschwand
Brücke.«
»Da ist doch ein Laden, gleich wenn man ins Dorf kommt? Dort lasse ich die Schüssel für Sie stehen. Also geben Sie sie her, sie sieht so schwer aus. Ohne das Ding geht sichâs leichter, dann sind Sie viel schneller zu Hause.«
Ich habe beobachtet, wie du vom Rad stiegst, und auf dem Handtuchzipfel, der mir ins Gesicht hing, gekaut. Verglichen mit Hyong-Chols Vater hast du nicht viel hergemacht. Deine Haut war so hell, als ob du keinen Tag deines Lebens im Freien gearbeitet hättest, und dein langes Pferdegesicht und deine hängenden Augenlider waren nicht gerade umwerfend. Aber die dicken, geraden Augenbrauen und der regelmäÃig geschnittene Mund gaben dir was Ehrliches, Verlässliches. Deine Augen, die mich ruhig ansahen, waren mir irgendwie vertraut, als ob ich sie schon lange kennen würde.
Als ich dir die Schüssel nicht gleich gab, sondern erst mal dein Gesicht studierte, hast du dich umgedreht, als ob du wieder aufs Rad steigen wolltest. »Ich habe keine Hintergedanken. Ich wollte nur helfen, weil diese Schüssel so schwer aussieht. Aber man kann niemand zu seinem Glück zwingen.« Du hast einen Fuà auf die Pedale gesetzt. Da habe ich mich schnell bedankt und dir die Schüssel gegeben. Ich sah zu, wie du mit den dicken Gummispannern die Schüssel hinten auf deinem Rad festmachtest.
»Ich lasse sie dort im Laden!«
Da fuhrst du davon â ein Mann, dem ich gerade zum ersten Mal begegnet war, mit dem Essen für meine Kinder auf seinem Rad. Ich nahm das Handtuch vom Kopf, klopfte mir den Staub von der Hose und schaute dir nach. Dein Fahrrad hinterlieà eine Staubwolke, und ich musste mir die Augen reiben, um dich besser sehen zu können. Ohne die schwere Schüssel auf dem Kopf fühlte ich mich wie neugeboren. Mit schwingenden Armen schritt ich aus. Ein angenehmer Wind drang durch meine Kleider. Wann war ich das letzte Mal so allein dahinspaziert, ohne Last in den Händen, auf dem Kopf oder auf dem Rücken? Ich schaute zu den Vögeln am dämmrigen Himmel hinauf und summte vor mich hin, ein Lied, das ich als Kind immer mit meiner Mutter gesungen hatte. Schon von Weitem suchte ich den Ladeneingang nach der Schüssel ab. Aber auch als ich näher kam, konnte ich sie nirgends entdecken. Mein Herz fing an zu rasen. Ich ging schneller. Ich hatte Angst davor, die Frau im Laden zu fragen: »Hat jemand eine Schüssel für mich hiergelassen?« Ich hätte sie ja längst sehen müssen, aber da war nichts. Als ich mit dem Handtuch in der Hand angerannt kam, sah mich die Ladenbesitzerin verdutzt an. Da erst wurde es mir klar: Du warst mit dem Abendessen für meine Kinder auf und davon. Tränen schossen mir in die Augen. Wie hatte ich meine Schüssel einem Mann anvertrauen können, den ich gar nicht kannte? Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich spüre jetzt noch den Schrecken, als genau das eintrat, was ich kurz befürchtet hatte, als du auf deinem Fahrrad davongesaust warst. Ich konnte nicht mit leeren Händen nach Hause kommen! Ich musste die Schüssel mit dem Mehl finden, egal wie! Ich dachte an das scharrende Geräusch, das zu hören gewesen war, als ich am Morgen im Schuppen Reis fürs Frühstück aus dem Tontopf geschöpft hatte. Ich konnte nicht einfach aufgeben, wenn doch in dieser Schüssel genug Mehl für die nächsten zehn Tage war! Ich bin einfach weiter in die Richtung gegangen, in die du am Laden vorbeigesaust sein musstest, und habe Ausschau nach dir und deinem Fahrrad gehalten. Ich habe jeden, den ich traf, gefragt, ob er einen Mann gesehen hatte, der soundso aussah. Und bald schon fand ich heraus, wer du warst â du warst ganz schön leichtsinnig gewesen. So was in der Nähe von deinem Zuhause zu machen! Als ich erfuhr, dass du aus dem Dorf warst, wo es dieses stattliche Haus mit dem Schindeldach gab, etwa fünf Ri von unserem Dorf entfernt, kurz vor der Kleinstadt bin ich losgerannt. Ich musste dich erwischen, bevor du das Mehl verbrauchen konntest.
Gleich im Dorf ging eine StraÃe ab, die zwischen Reisfeldern hindurch zu einem Hügel führte. Als ich dein Fahrrad vor einem heruntergekommenen Haus am Fuà des Hügels stehen sah, bin ich mit einem Wutschrei durchs Tor gestürmt. Und da sah ich alles. Deine alte Mutter, die mit tief eingesunkenen Augen auf dem Maru saÃ. Deinen Dreijährigen, der am Daumen lutschte. Und deine Frau, die
Weitere Kostenlose Bücher