Als Mutter verschwand
dass du Eun-Gyu heiÃt und dein älterer Bruder Kum-Gyu. Dass euer Vater gehofft hatte, ihr würdet mal reich, und euch deshalb »Silbertresor« und »Goldtresor« genannt hatte. Dass es vielleicht daher kam, dass dein Bruder Goldtresor ein bisschen reicher war als du. Da habe ich gelacht, und du musstest auch lachen. Bis heute siehst du am besten aus, wenn du lachst. Also schau den Arzt nicht so finster an, lächle wenigstens. Lächeln kostet doch nichts.
Bis dein Baby drei Wochen alt war, bin ich jeden Tag einmal zu dir gegangen und habe es trinken lassen. Manchmal bin ich im Morgengrauen gekommen, manchmal mitten in der Nacht. Ist das später für dich zur Fessel geworden? Obwohl das alles war, was ich je für dich getan habe, bin ich die nächsten dreiÃig Jahre immer zu dir gekommen, wenn ich in einer schwierigen Situation war. Das erste Mal, glaube ich, nachdem das mit Kyun passiert war. Weil ich da sterben wollte. Alle anderen haben es mir noch schwerer gemacht, nur du hast mich gar nichts gefragt. Du hast gesagt, die Zeit heilt alle Wunden. Ich soll einfach nur tun, was ich zu tun habe, ohne irgendwas zu denken, hast du gesagt. Ich weià nicht, was ich gemacht hätte, wenn du nicht gewesen wärst; ich war so verstört. Du warst auch derjenige, der mein viertes Kind, das tot geborene, in den Hügeln begraben hat. Jetzt, wo ich drüber nachdenke: Bist du nach Komso gezogen, weil ich dir zu viel war? Du warst nicht dafür gemacht, an der Küste zu leben und als Fischer zu arbeiten. Du warst jemand, der pflügt und sät. Du hattest zwar kein eigenes Land, aber du hast anderer Leute Felder gepflügt. Ich hätte begreifen müssen, dass du deshalb nach Komso gegangen bist, weil ich dir zu viel war. Jetzt erkenne ich, was ich dir damit angetan habe.
Die erste Begegnung ist wohl wirklich entscheidend. Tief drinnen hatte ich wohl immer das Gefühl, du wärst mir was schuldig, und habe dir deshalb ständig meine Probleme aufgebürdet. So wie ich dich gefunden hatte, als du mit meiner Schüssel Mehl auf und davon geradelt warst, habe ich dich auch in Komso gefunden, nachdem du dich einfach davongemacht hattest, ohne mir was zu sagen. Du hast überhaupt nicht nach Komso gepasst. Es war ein komischer Anblick, du dort am Meer. Ich erinnere mich genau an deinen Gesichtsausdruck, als du in den Salzfeldern am Meer gestanden und mich gesehen hast. Jetzt, wo ich drüber nachdenke â vielleicht hat dein Gesicht ja gesagt: »Selbst bis hier ist sie mir nachgelaufen!«
Deinetwegen ist Komso für mich ein wichtiger Ort geworden. Ich kam immer zu dir, wenn irgendwas los war, womit ich nicht allein fertig wurde, aber sobald ich einigermaÃen drüber weg war, habe ich dich vergessen. Dachte ich jedenfalls. Als du mich in Komso gesehen hast, war das Erste, was du sagtest: »Was ist passiert?« Jetzt kann ich es dir ja verraten: Das war das erste Mal, dass ich zu dir kam, weil ich dich einfach nur sehen wollte, nicht weil irgendwas passiert war.
Das war das einzige Mal, dass du einfach verschwunden bist; danach bist du immer am selben Fleck geblieben, bis ich dich nicht mehr brauchte. Danke, dass du immer da warst. Wahrscheinlich habe ich nur deshalb überlebt. Es tut mir leid, dass ich immer zu dir gekommen bin, wenn ich Probleme hatte, dir aber nie erlaubt habe, auch nur meine Hand zu halten. Ich kam zu dir, wenn ich etwas von dir wollte, aber sobald ich das Gefühl hatte, du willst etwas von mir, bin ich unleidlich geworden. Das war nicht nett von mir. Es tut mir aufrichtig leid. Zuerst war ich zu verlegen, dann dachte ich, es wäre nicht richtig, und dann war ich zu alt. Du warst meine Sünde und mein Glück. Vor dir wollte ich etwas hermachen.
Manchmal habe ich dir Sachen erzählt und gesagt, ich hätte sie gelesen, was aber gar nicht stimmte. Ich hatte sie von meiner Tochter gehört. Ich habe dir erzählt, dass es da einen Ort namens Santiago gibt, in einem Land namens Spanien. Du hast dir den Namen nicht merken können und immer wieder gefragt: »Wie heiÃt der Ort?« Ich habe dir erklärt, dass es dort einen Pilgerweg gibt, für den man dreiunddreiÃig Tage braucht. Chi-Hon wollte dorthin, deshalb sprach sie manchmal davon, aber ich habe vor dir drüber geredet, als ob ich selbst hinwollte. Und du hast gesagt: »Wenn du so gern dorthin willst, lass es uns irgendwann zusammen machen.« Das hat mich
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