Als Oma bist du ja ganz nett: Wie meine Mutter ein Enkelkind bekam (German Edition)
nicht nur ich von ihr abhängig bin. Das Spiel konnte ganz offenbar auch umgedreht werden.
Vermutlich gibt es zwei Arten, diese Zeit zu interpretieren. Entweder war ich einfach ein gefühlskalter Unmensch, der glaubte, seine ganze Umwelt mit seiner postpubertären Luft der Rache verpesten zu können. Oder ich habe dieses seltsam verwobene Band zwischen meiner Mutter und mir ein Stück weit aufgerissen, es darauf angelegt und gehofft, dass sie mit mir zusammen noch mal neu weben würde. Letzteres ist natürlich das von mir bevorzugte Bild. Und wir haben auch gewoben.
Nach einem Gespräch im Spätsommer, das einem Faustkampf glich, begannen wir aufzuräumen. Langsam, aber sicher näherten wir uns wieder an. Jede auf ihrem Standpunkt bleibend, aber einander zumindest die Hände reichend. Immer wieder gab es Rückschläge. Und Momente der Resignation, wenn wir feststellten, dass es doch noch nicht wieder gut ist. Als große Aufräumaktion mit Altkleiderentsorgung und Sondermüllsortierung buchte meine Mutter für unsere Familie eine Reise in die USA . Eine Autoreise. 2000 Kilometer. Das war wirklich mutig. Vier Menschen, die bis vor Kurzem noch nicht mal miteinander sprechen, geschweige denn eine Party zusammen feiern konnten, vier Wochen lang auf engem Raum, keine Fluchtmöglichkeiten, keine Handlungsspielräume. Und kurz vor dem Abflug war ich plötzlich schwanger. Klar hat es dort gekracht. Heftig sogar. Am schlimmsten in Garlic City, einer Stadt, die Tag und Nacht nach Knoblauch, Knoblauchgranulat und Knoblauchzweitverwertung stank.
Aber das war alles Teil der Rehabilitation. Heute haben wir beide etwas, wofür wir die andere bewundern. Und wir haben auch schlicht mehr gemeinsam: Wir sind beide Mütter. Und wir möchten beide, dass diese kleine Sophie wächst und gedeiht. Klar existiert unsere Vergangenheit noch zwischen uns. Wenn die Sprache darauf kommt, ist es oft, als würde sich ein langer Schatten über uns legen. Mein Mund wird dann trocken, die Stimme meiner Mutter dünn. Trotzdem sage ich manchmal aus Spaß zu meinen Freunden: »Wenn du dich mit deiner Mutter schlecht verstehst, dann krieg ein Kind. Das erleichtert alles.« Ich sehe dann immer, wie ihr Gehirn das als echte Option in Betracht zieht. Deshalb sei hier davon erzählt, wie aus Tochter und Mutter eine Matroschka wurde. Die Kleinste kann man nur sehen, wenn man die beiden Größeren öffnet, indem man sie dreht.
HIER GEHT’S LOS
EIN NAMENLOSES NEUGEBORENES WIRD TANZENDER MATHECRACK UND KRIEGT DANN SELBST EIN KIND
Als sie geboren war, bekam sie natürlich ihren Namen. Sogar zwei: vorn der unterstrichene Rufname, Hanna, dann noch der zweite, Emilie. Trotzdem konnte ich mein Mädchen erst mal nicht damit ansprechen. Ich hatte den Namen zwar ausgesucht, und ich diktierte ihn, noch im Kreißsaal, der Hebamme: Hanna Emilie. Sie schrieb ihn auf: Hanna-Emely. Und weil das gleich zweifach falsch war, übten wir es am nächsten Tag gleich noch mal. Hanna Emilie. Und so stand es schließlich auf dem Heftpflaster an ihrem Babybett. Hanna Emilie. In Kulischrift. Daneben ein winziges Weiblichkeitszeichen.
Lange vor ihrer Geburt stand Hannas Name fest. Mit sechzehn Jahren hatte ich das komplette Œuvre von Rainer Werner Fassbinder inhaliert, sämtliche Filme dieses Wahnsinnigen hatte ich mir reingezogen. Schon damals, Anfang der Achtzigerjahre, stand fest: Sollte ich in diese kranke Welt je ein Kind setzen, würde es heißen wie Fassbinders Muse, die Schauspielerin Hanna Schygulla.
Aber dann war Hanna geboren und blieb tagelang namenlos.
Es lag an mir. Ich konnte sie nicht ansprechen. »Na, du Kleine, du Süße« – derlei verliebtes Zeug sagte ich zu ihr. Ich nahm ihre winzigen Finger und zählte sie nach. Ich betrachtete ihre perlenkleinen Zehen und die rosa Lider im erschöpften Gesicht. Sie hat doch auch einen Namen, redete ich mir gut zu, jetzt sprich sie doch mal damit an! Ich konnte es nicht.
Heute weiß ich, woran es lag. Hanna war die erste perfekte Sache in meinem Leben. Das erste Vorhaben, das geglückt war, und zwar ohne Abstriche. Ich brauchte einfach ein paar Tage, bis ich mir erlaubte zu verstehen, dass es jetzt immer so weitergehen würde, dass dieses Mädchen bei mir bleiben würde und es deshalb eine gute Idee wäre, sie auch mal bei ihrem Namen zu nennen. Hanna.
Wenn Hanna gut drauf ist, ist sie eine Wucht. Das war damals so, und das ist bis heute so geblieben. Sie kriegt dann so ein Schwingen in den Hüften, so ein
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