Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Oma noch mit Kohlen heizte

Als Oma noch mit Kohlen heizte

Titel: Als Oma noch mit Kohlen heizte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
Vom Netzwerk:
Haus.

Krankenpflege
    Tillas Mutter musste sich setzen, so fuhr ihr der Schreck in die Glieder. Sie fasste mit beiden Händen ihren Leib und fühlte, wie sich das neue Kind in ihr zum ersten Mal bewegte.
    „Trag mir die Tilla ins Bett“, bat sie den Christian. Sie ging voran, aber nicht in die Kammer, in der die beiden Mädchen ihr Bett stehen hatten. Sie öffnete die Tür zum Elternschlafzimmer. Da stand das breite braune Ehebett, fest und aus Eichenholz getischlert. „Danke, Christian“, sagte Tillas Mutter. „Ich mach’s wieder gut.“
    Christian murmelte etwas von „selbstverständlich“ und „hätte doch jeder getan“, griff nach seiner Lederjacke und ging hinaus.
    An der Tür drehte er sich um und sagte noch:
    „Wenn sie sich nur keine Lungenentzündung geholt hat.“
    Tilla wurde von der Mutter ausgezogen und in das breite Bett gelegt. Mit dem riesigen Oberbett deckte die Mutter das Kind bis zur Nasenspitze zu. „Polnische Daunenfedern“, sagte sie. Das Wort „Lungenentzündung“ hatte sie mit Schrecken erfüllt. Sie rannte in die Küche und holte die Wärmflasche der armen Leute herbei. Das war ein gewöhnlicher brauner Ziegelstein, der den ganzen Tag über im Backofen des Küchenherdes aufgeheizt wurde und dann, in ein Tuch eingeschlagen, das Bett wärmte.
    „Schwitzen musst du, Kind“, sagte die Mutter. „Du musst die Krankheit ausschwitzen.“
    Allmählich taute Tilla auf. Sie ahnte, dass ihre Mutter es nicht mit der Wärmflasche und dem Daunenoberbett bewenden ließ. Und richtig, Mutter griff nach der blauen Blechdose, die ganz oben im Küchenschrank ihren Platz hatte. Zwar stand in schwarzen, verschnörkelten Buchstaben „Columbus-Kaffee“ auf der Dose, aber sie enthielt keineswegs Kaffeebohnen. In der Dose war eine Teemischung. Tillas Mutter hatte von ihrer Mutter gelernt, welche Pflanzen man das Jahr über sammeln und trocknen musste, um diesen Tee zu bekommen. Er half, davon waren alle im Dorf überzeugt, gegen viele Krankheiten.
    Im Frühsommer konnte man sehen, wie Lisa Meurer von den Linden besonders ausgewählte Blüten zupfte. Aber auch junge Brombeerblätter, Beifuß und Hirtentäschelkraut gehörten zu ihren Rezepturen sowie Salbei aus den Rheinwiesen. Woraus sich allerdings die Mischung von Meurers Tee genau zusammensetzte, das verriet Tillas Mutter keinem. Noch nicht. Aber irgendwann würde Tilla es von ihr gesagt bekommen.
    Wurde im Dorf jemand krank, dann gab Lisa Meurer bereitwillig von ihrem Tee aus der blauen Büchse. Weil der nächste Arzt weit weg wohnte und für jede Hilfe bezahlt werden musste, deshalb versuchten es fast alle zunächst mit Meurers Tee.
    Der Lehrer, der im Allgemeinen nichts von solchen geheimen Künsten hielt, erklärte die Heilkraft, indem er sagte: „Der Tee schmeckt so bitter, dass jede Krankheit erschrickt und aus dem Körper hinausfährt.“
    Eine große Tasse des Gebräus musste Tilla leeren. Sie begann zu schwitzen wie ein Bär. Erst perlten die Tröpfchen von ihrer Stirn, danach rieselte es aus ihrem Körper wie aus hundert kleinen Quellen.
    Eine halbe Stunde lang wachte die Mutter darüber, dass Tilla gut zugedeckt blieb und sich kein noch so winziges Luftloch aufwühlte. Dann schaffte sie eine große runde Blechschüssel herbei, stellte sie auf einen Stuhl und goss eiskaltes Winterwasser hinein. Aus einem Wäschefach nahm sie ein frisches Leinentuch, faltete es auseinander und tauchte es in das eiskalte Wasser. Ein Handtuch hängte sie griffbereit über die Stuhllehne. Ihrer Tochter Gertrud befahl sie, Tillas Nachthemd aus der Mädchenkammer zu holen.
    Mit einem Griff riss sie das große Oberbett zurück. Tilla musste sich auf die Seegrasmatratze stellen und wurde – mir nichts, dir nichts – in das nasse Bettlaken eingeschlagen und abgerieben. Dann trocknete die Mutter flink ihre Tochter ab, streifte ihr das Nachthemd über und trug sie in die Mädchenkammer ins Bett. Die Mutter bat Gertrud:
    „Bring mir mein Wolltuch.“
    Im Mädchenzimmer war es kalt. Während der Wintermonate war nur die Küche ein angenehm warmer Ort. In allen anderen Zimmern blühten die Eisblumen an den Fenstern. Kohlen waren teuer.
    Tillas Mutter schlug sich fest in das Wolltuch ein und setzte sich zu Tilla auf die Bettkante.
    „Ich wollte doch nur ...“, sagte Tilla leise.
    „Lass nur, ist schon gut“, redete die Mutter dem Kind beruhigend zu, „du musst jetzt schlafen.“
    „Es war doch nur wegen der Idee“, murmelte Tilla erschöpft und schon halb

Weitere Kostenlose Bücher