Als Oma noch mit Kohlen heizte
Dank.“
„Lisa Meurers Tee ist doch ein Wundermittel“, lobte Vater. „Aber vielleicht sollte Tilla heute noch nicht zur Schule gehen.“
Dieses Angebot wäre Tilla an anderen Tagen sehr willkommen gewesen, aber sie wusste, wenn sie nicht zur Schule ging, dann durfte sie den ganzen Tag über das Haus nicht verlassen. Und immer noch hatte sie ja keinen Fuß auf die Brücke gesetzt.
„Wer weiß, wie lange der Frost noch anhält“, murmelte sie.
„Bitte?“, fragte der Vater.
„Frostwetter soll gesund sein“, antwortete Tilla schnell. „Ich will doch zur Schule.“
Sie frühstückte mit Mutter und Vater. An den anderen Tagen war Vater längst zur Arbeit, wenn die Kinder aufstanden. Im Winter ging er aus dem Haus, wenn es noch dunkel war, und kam vom Werk zurück, wenn die Sterne schon leuchteten. Von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends dauerte sein Arbeitstag.
In der Schule bullerte der hohe Kanonenofen, als Tilla in das Klassenzimmer kam. Es war angenehm warm. Lehrer Pannbeckers heizte bei kaltem Wetter schon um halb sieben den Ofen an. Er war ein Frühaufsteher. Einer seiner Lieblingssprüche war:
„Morgenstund hat Gold im Mund.“
„Und Blei an den Füßen“, zischelte dann Fritz van Geldern so, dass der Lehrer es nicht hören konnte.
Tilla war an diesem Morgen der Mittelpunkt in der Klasse.
„Sie ist dem Tod von der Schaufel gesprungen“, sagte Lehrer Pannbeckers. Er warnte erneut die Kinder vor den Gefahren des Rheins, der sommers wie winters darauf lauerte, Menschen ins nasse Grab zu zerren.
Die Kinder wollten wissen, ob Tilla nicht die Stimme von Stina Basendongk vernommen habe, die das Eis festgehalten hatte und die doch irgendwo weit draußen ihr gespenstisches Wesen treiben sollte; ob der Wassermann ihr tatsächlich beide Holzschuhe von den Füßen gezogen habe; ob es stimme, dass der heilige Christophorus sie auf den Schultern ans Ufer zurückgetragen habe.
Tilla wunderte sich, wie schnell sich Gerüchte aufblähen können, und gab geduldig Auskunft. Aber es war seltsam, die meisten Kinder dachten bei sich, dass Tilla die geheimnisvollen Begebenheiten nur nicht erzählen wollte, und blieben davon überzeugt, dass es nicht der Knecht Christian gewesen war, der Tilla gerettet hatte, sondern der mächtige Riese Christophorus persönlich.
Als zu Beginn der großen Pause Fritz van Geldern eine braune, saftige Winterbirne vor Tilla auf die Bank legte und sagte: „Wenn du uns von Stina Basendongk erzählst, dann schenke ich dir die Birne“, da stach Tilla der Hafer. Sie flunkerte munter drauflos. Tatsächlich habe sie in einem wasserhellen Eisblock die Stina gesehen und die habe ihr zugewinkt. Wie von ganz weit weg sei eine gläserne Stimme an ihr Ohr gedrungen: „Komm doch, Tilla, komm, ich bin so allein. Komm und bleib bei mir.“ Ganz bleich sei das Mädchen gewesen und habe ein Gewand aus tausend Schleiern mit lauter Eisblumen darin getragen.
Als Tilla zu dem ertrunkenen Mädchen nichts mehr einfallen wollte, da schloss sie: „Aber dann ist mit einem Male ein grüner Nix gekommen. Der hat eine Krone aus lauter Perlen auf seinem Haupt gehabt. Sein Haar ist aus zottigem Wassermoos gewesen. Der Nix hat die Stina bei der Hand genommen und in die Tiefe gezogen. Ganz traurig hat mir die Stina mit ihrer anderen Hand zugewinkt und ihr Bild im Eisblock ist blasser und blasser geworden und schließlich verschwunden.“
„Gut, dass du ihr nicht gefolgt bist“, seufzte Fritz. Tilla steckte die Birne in ihre Schultasche.
Aber dann lag ein Apfel von Grete Rütters da. Ihr erzählte Tilla von dem gewaltig großen Christophorus.
Jutta Clemens schenkte ihr ein Zuckerbonbon und Wilhelmine Geußen bot eine Hand voll Haselnüsse, wenn sie erzählen wollte, wie der Wassermann ihr die Holzschuhe von den Füßen gezogen habe.
Lehrer Pannbeckers, der stets in der großen Pause ins Obergeschoss des Schulgebäudes in seine Wohnung ging und dort eine Tasse Kaffee trank, fand es sonderbar, dass es im Klassenraum während der ganzen Pause mäuschenstill blieb.
Behutsam öffnete er die Tür. Da hockten die Kinder alle um Tillas Platz herum und sperrten Mund und Ohren auf. Der Lehrer blieb in der dunklen Ecke neben dem Schrank stehen und lauschte ebenfalls Tillas Geschichten. Es war inzwischen mehr als eine Stunde vergangen und mancherlei Schätze hatten sich in Tillas Tasche gesammelt, da klopfte er mit dem Knöchel gegen den Schrank.
Erschreckt fuhren die Kinder herum und kamen wie aus einem
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