Als schliefe sie
beklommene Blicke. Denn wie Prophezeiungen bewahrheiteten sich stets ihre Träume. Hier in diesem fremden Bett dagegen, umgeben von Dunkelheit, so dicht, dass sie auf die Augen drückte, erschien sie sich im Traum als erwachsene Frau. Vierundzwanzig Jahre alt. Nackt in einem Bett, das nicht das ihre war. Der Kopf auf einem Kissen ruhend, das nicht das ihre war.
Milia öffnete die Augen, wollte den Traum ordnen, sank erneut in den Schlaf. Doch sie sah nichts. Nur zwei ins Dunkel starrende Augen.
Sie riss die Augen auf, sah ihre eigenen Augen, brach in Panik aus.
Sich an den Paternosterbaum lehnend, bewundert er ihre Schönheit. Ihre Augäpfel, sagt er, seien nicht reinweiß, sondern hätten einen Anflug von Zartblau, einen Hauch von Himmel. Von ihrer weißen Haut, ihren honigfarbenen Augen, ihrem langen Hals und dem kastanienbraunen, über die Schultern wallenden Haar hingerissen, sei er, so seine Worte, aus der Ferne angereist, um sie zu heiraten. Denn er liebe sie.
Wo hat er all das gesagt?
Weshalb folgte ihr dieser Traum aus dem Schlaf in den Wachzustand? Weshalb sah sie nichts als zwei ins Dunkel starrende Augen?
Milia wollte aufstehen und sich ein Glas Wasser holen. Dann aber sah sie sich im Spiegel ihrer Augen. Nackt und weiß. Unwillkürlich schloss sie die Augen. Sie will den Mann, der mit abgewandtem Gesicht neben ihr schläft, in den Wagen zurückrufen. Denn sie hat Angst um ihn. Die Augen geschlossen, sieht sie sich selbst. Sie gleitet aus, fällt taumelnd in den weißen Nebel. Ihr Durst ist verflogen, kaum dass sie die Frau sieht. Nackt liegt sie da. Sie blickt auf eine beschlagene Windschutzscheibe. Vor dem Auto ein Mann im schwarzen Anzug, darüber ein olivgrüner Mantel. In der Hand eine flackernde Kerze, geht er voran, wie um eine Bresche in den Nebel zu schlagen.
Stille. Eine nackte Frau. Ein Auto. Im Schritttempo fährt es durch den Nebel. Der Fahrer reckt den Kopf über dem Steuer vor, versucht durch die weißfleckig beschlagene Scheibe die Straße zu erkennen. Vor dem Wagen ein Mann. In der Hand eine weiße Kerze, eingeschlossen von dichtem weißem Nebel.
Die Kerze erlischt. So zumindest kommt es Milia vor. Der Mann hält unvermittelt an, bleibt mitten auf der Straße stehen. Er öffnet den Mantel, wohl um die Kerze, geschützt dicht am Körper, anzuzünden. Er beugt sich vor. Sein Rücken ist gekrümmt, der Mantel vom Wind gebläht. So steht er reglos. Der Fahrer atmet hörbar, immer lauter, keucht. Er kurbelt das Fenster herunter, streckt den Kopf hinaus und ruft. Was, ist nicht zu verstehen.
Milia friert. Ein stechender Schmerz fährt ihr in den Bauch. Sie will sich wärmen, schlingt den braunen Mantel fest um den Körper, presst die Arme an die Brust. Ihre Zähne klappern. Umhüllt von Mantel und Dunkelheit verharrt sie. Die Kerze ist überflüssig, denkt sie. Sie überlegt, ob sie aus dem Auto steigen und dem Mann sagen soll, dass die Kerze wohl kaum etwas bewirken wird. Schließlich kommen nicht einmal die Scheinwerfer gegen den Nebel an. Er soll wieder ins Auto steigen, will sie ihm sagen. Aber sie traut sich nicht hinaus. Denn sie ist nackt, und sie friert.
Wer hat das Bett ins Auto gestellt? Wieso war sie nackt?
Zum Schlafen trug sie doch immer ein knöchellanges blaues Nachthemd und darunter einen BH . Seit sie einmal den Hängebusen ihrer Großmutter gesehen hatte, verzichtete sie niemals mehr auf einen BH . Um nicht irgendwann auch so auszusehen, schlief sie sogar damit. Jetzt aber trug sie weder Nachthemd noch BH .
Den Oberkörper ans Steuer gepresst und die Augen an die Windschutzscheibe geheftet, atmet der Fahrer zunehmend lauter. Milia fürchtet sich. Der Mann draußen im Nebel scheint sich immer weiter zu entfernen. Scheint abzuheben. Scheint, vom windgeblähten, flatternden Mantel getragen, das Tal zu überfliegen.
Milia sah sich im Traum. Eine strahlend weiße Erscheinung. Weshalb sie im Traum plötzlich weiß war, konnte sie sich nicht erklären. Der Körper, in den sie tagsüber schlüpfte, war nicht der ihre. Vielmehr spiegelte er das, was die anderen sehen wollten. Ihre Mutter wünschte sich eine weißhäutige, mollige Tochter. Also nahm Milia ihr zuliebe am Tag eine weiße, mollige Gestalt an. Nachts dagegen gehörte ihr Körper ihr. Im Traum war sie immer sieben Jahre alt, brünett, schlank und hatte riesig große, fast das ganze Gesicht einnehmende Augen, gekrönt von langen, schmalen Brauen. Außerdem hatte sie schwarze Locken und eine zierliche, wie mit
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