Als schliefe sie
auch nicht, dass Mansûr anhielt und am Straßenrand auf das Auto wartete.
Kaum hatte Milia »Heilige Jungfrau« gerufen, klarte es auf. Licht brach durch den Nebel, und es hörte auf zu schneien. Der Fahrer hielt an, um Mansûr aufzunehmen, und drehte sich nach Milia um. Er wollte das Gesicht der Frau sehen, die mit ihrem Aufschrei das Wunder bewirkt hatte. Milia aber schlief. Träume umspielten ihre geschlossenen Augen. Ein Wunder sei geschehen, verkündete der Fahrer. Milia räkelte sich, rieb die Augen, lächelte. In dem Augenblick öffnete Mansûr die Tür und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
»Was für eine eisige Kälte!«, kommentierte er.
»Wie soll ich nach Beirut zurückkommen?«, fragte der Fahrer, während er das Auto talwärts in die Bekaa-Ebene rollen ließ.
»Neblig ist es offensichtlich nur oben auf dem Bergkamm«, stellte Mansûr fest. »Wir haben es überstanden.«
»Und wo soll ich schlafen?«, fragte der Fahrer.
»Ich dachte, ich würde weggefegt werden. Ich bin regelrecht geflogen!«, berichtete Mansûr und drehte sich nach Milia um. Sie kauerte bibbernd auf der Rückbank, gehüllt in den braunen Mantel, der mitbebte.
»Die Braut«, sagte der Fahrer.
»Was ist mit der Braut?«, fragte Mansûr.
»Sie hat ›Heilige Jungfrau‹ gerufen. Da verschwand augenblicklich der Nebel, und es hörte auf zu schneien. Die Braut hat ein Wunder vollbracht«, sagte der Fahrer.
»Milia«, sagte Mansûr und musste niesen. Immer wieder. Am ganzen Leib zitternd und zähneklappernd, gab er seltsame Töne von sich, wie tiefe Seufzer.
»Reiben Sie sich die Hände!«, riet der Fahrer.
Mansûr schien gegen eine Ohnmacht anzukämpfen.
»Halb so schlimm«, sagte der Fahrer. »Da müssen Sie jetzt durch. Schließlich wollten Sie weiterfahren. Also beherrschen Sie sich!«
Mansûr versuchte sich zu beherrschen. Seine Kräfte aber ließen ihn im Stich. Brust, Arme und Beine schlotterten in einem fort. Er hatte das Gefühl zu ersticken.
»Kümmern Sie sich doch endlich um Ihren Mann«, fuhr der Fahrer Milia an. »Er ist ganz blau im Gesicht und bekommt kein Wort mehr heraus.«
Milia setzte sich auf.
»Entspanne dich, Liebling«, sagte sie, Mansûr über das Haar streichend. »Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir im Hotel im Warmen.«
Allmählich legte sich das Zittern, der Atem beruhigte sich.
»Keine Sorge, Milia«, sagte er nach einer Weile. »Ich bin zäh. Mir geht es wieder besser.«
Kaum ausgesprochen, erfasste ihn ein Niesanfall. Er bat um ein Taschentuch. Der Fahrer bot ihm seines an. Er wies es zurück. Da reichte ihm Milia ihres. Reichte ihm das weiße Taschentuch mit Spitze, das sie von ihrer Großmutter geerbt und all die Jahre, unangetastet im Schrank, für die Hochzeit aufbewahrt hatte. Mansûr nahm das Taschentuch. Den Kopf leicht vorgebeugt, schnäuzte er die Nase, räusperte sich und spuckte.
Wie sie das Hotel erreichten, wusste Milia nicht mehr. Sie erinnerte sich nur noch an Nebel, Sturm und Schnee auf dem Bergkamm von Dahr al-Baidar. Erinnerte sich, dass Mansûr ausgestiegen, vor dem Wagen hergegangen, im Nebel verschwunden war. Erinnerte sich, dass der Fahrer ihrem Mann am Eingang des Bergdorfes Saufar wegen der Witterungsverhältnisse die Weiterfahrt nach Schtûra auszureden versuchte. Dass Mansûr sich von seinem Vorhaben nicht abbringen ließ. Dass der Fahrer sie darauf um Beistand bat, ja beschwor. Dass sie etwas sagen wollte, sich Mansûrs missbilligender Blick aber in ihre Lippen bohrte und sie außer Gefecht setzte. Sie sah, wie sein dichter schwarzer Schnurrbart zuckte, stellte sich Mansûr mit rotem Tarbûsch 1 auf dem Kopf vor, und Liebe zu ihm übermannte sie.
Im Auto, während draußen der Sturm tobte und drinnen der Fahrer flehend auf Umkehr drängte, überkam Milia die Liebe, auf die sie lange gewartet hatte. Sie purzelte ihr sozusagen ins Herz. Milia spürte einen Schmerz zwischen den Rippen. Es war, als sei ihr Herz plötzlich gefallen. Sie erschrak, wollte schluchzen, traute sich aber nicht. Sie hielt den Atem an. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Das sei die Liebe, dachte sie. Anfangs hatte sie keine Gefühle für ihn. Zufällig hatte sie ihn gesehen. Er stand im Garten der Nachbarn. Sie hatte aus dem Fenster geschaut und ihn zufällig entdeckt. Reglos stand er unter der Palme, schaute sie an, versuchte, ihren Lippen ein Lächeln zu entlocken. Immer lächelte er. Den Blick wandte er erst ab, wenn sie sich, die Wangen vor Scham gerötet, zurückzog.
»Was
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