Als schliefe sie
will dieser Fremde?«, fragte ihre Mutter.
Milia wusste nichts über ihn. Sich in ihn zu verlieben lag ihr völlig fern. Denn sein Haar glänzte wie geölt. An den Schläfen war er weiß, was in ihren Augen darauf deutete, dass er uralt war. Milia sah in ihm daher nicht den ersehnten Prinzen, sondern einen Vater. Einen Vater auf der Suche nach seiner verlorenen Tochter. Dennoch nahm sie seinen Antrag an, verriet aber keinem Menschen je ihre Beweggründe.
Mansûr sei ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Deshalb habe sie eingewilligt, sagte sie zu Mûsa.
Sie habe das Warten satt und wolle endlich heiraten, sagte sie zu ihrer Mutter.
Sie wolle der erdrückenden Atmosphäre entfliehen, die zu Hause herrschte, seit Salîm nach Aleppo gezogen war und die Mutter nur noch krank war, sagte sie zu Schwester Mîlâna.
Er sei alt, bemerkte sie, als sie sich das erste Mal mit ihm unterhielt.
»Ich?«
Sie zeigte auf die weißen Koteletten.
»Die ersten grauen Haare hatte ich schon mit zwanzig. Graue Haare machen einen zum Löwen. Im Tierreich werden nämlich nur Löwen grau. Ich bin siebenunddreißig und werde vor meinem vierzigsten Lebensjahr heiraten. Das erste Prophetenalter ist an mir vorbeigezogen, ohne dass ich geheiratet habe. Das zweite dagegen werde ich nicht verstreichen lassen. Sonst ist es endgültig vorbei.«
Milia verstand nicht, was er meinte, und lächelte. Er fasste sich ein Herz und gestand ihr seine Liebe.
»Lieben Sie mich auch?«, fragte er.
»Ich kenne Sie doch gar nicht! Wie soll ich Sie da lieben?«
»Ich liebe Sie, obwohl ich Sie nicht kenne«, sagte er. »Ich spüre Sie in meinem Inneren. Spüren Sie mich auch?«
Milia nickte. Nicht, um zu bejahen, sondern weil sie es nicht wusste. Mansûr deutete die Geste als ein Ja.
»Es bestehen also Chancen?«, fragte er.
Sie ließ den Blick in die Ferne schweifen und schloss die Augen.
Was es mit den beiden Prophetenaltern auf sich hatte, verstand Milia erst im Masâbki-Hotel in Schtûra.
In der zweiten Nacht nach der Hochzeit näherte er sich ihr.
»Nein. Ich bin müde«, wehrte sie ab, drehte sich um und schlief ein.
Als sie tief und gleichmäßig atmend schlummerte, schlich er sich von hinten an sie heran, streichelte sie, drehte sie auf den Rücken und nahm sie. Milia bemerkte an sich und auf dem Laken feuchte Flecken. Ein Schauder befiel sie. Sie wollte ins Bad gehen, hatte keine Kraft in den Beinen, schloss die Augen und versuchte wieder einzuschlafen.
»Wach auf! Wach auf! Du kannst doch jetzt nicht schlafen!«
Milia riss die Augen auf, hob den Kopf, lehnte ihn an das Kopfteil des Bettes, sah Mansûr. Sein Oberkörper war nackt. Er hatte eine Zigarette im Mund und ein Leuchten in den Augen.
»Du bist so schön! Schau dich im Spiegel an. Durch die Liebe wird eine Frau noch viel schöner!«
Milia schloss die Augen, hörte ihm zu. Er sprach von seinen verschiedenen Lebensaltern. Das Jesus-Alter sei an ihm vorbeigezogen. Das Muhammad-Alter jedoch werde er auf keinen Fall verpassen.
Milia verstand nicht. Trotzdem fragte sie nicht nach. Sie spürte ein Brennen im Unterleib, wollte trinken, schämte sich aber wegen der Flecken am Nachthemd aufzustehen.
»Jesus wurde mit dreiunddreißig ans Kreuz geschlagen. Muhammad trat mit vierzig als Prophet in Erscheinung. Ein Mann muss in einem dieser beiden Lebensalter zum Mann werden. Andernfalls ist es endgültig aus. Die erste Gelegenheit habe ich verpasst. Bei der zweiten bin ich dir begegnet.«
»Der Fahrer hatte Recht«, flüsterte sie. »Du bist wirklich verrückt.«
Die Liebe brach im Auto über sie herein. Milia schloss die Augen, suchte nach dem Tarbûsch ihres Onkels, um ihn Mansûr aufzusetzen, und fand ihn. In ihrer Traumgrube.
Sie sieht Mansûr. Am Körper das weiße Seidengewand von Onkel Mitri, auf dem Kopf, etwas nach vorn gekippt, einen Tarbûsch. In der Hand ein dünnes Bambusrohr, folgt er ihr auf Schritt und Tritt. Das Rohr berührt ihre dunklen, nackten Füße. Sie soll gefälligst ihr Brot essen, brüllt der Mann im Gewand. Milia, in Shorts, hüpft, um sich vor den Rohrschlägen zu retten, von einem Bein aufs andere. Ihre Füße brennen wie Feuer. Das Rohr lässt ab von ihr. Sie hockt sich auf den Boden und macht sich über die aufgerollte mit Labna 2 und Olivenöl bestrichene Fladenhälfte her. Der Geschmack von weißen Zwiebeln und grüner Minze breitet sich auf ihrer Zunge aus. Sie isst und isst. Der Fladen nimmt kein Ende. Milia dreht sich zu ihrem Onkel hin und lädt ihn
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