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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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das ist Jahre her. Sie wohnte damals nicht mehr bei uns. Eigentlich wussten wir nicht einmal, wo sie war, oder mein Vater wusste es, aber er sagte es mir nicht. Später erst erfuhr ich, dass sie nach Berlin gezogen war. Ich wurde vom Telefonklingeln geweckt. Ich lag nebenan im Bett, hielt den Atem an und lauschte. Ich musste mich konzentrieren, weil mein Vater wenig sagte, und was er sagte, sehr leise. Ein paar Worte konnte ich verstehen. Ihren Namen, wie mein Vater sie nannte, Jo, aber wie Joe ausgesprochen, sie hieß Johanna, aber nur mit zweitem Namen, dass ihr Name eigentlich Gerhild war, erfuhr ich erst später von meiner Großmutter. Sie rief eines Tages an und fragte nach Gerhild, und ich wusste nicht, wen sie meinte. Ich kannte keine Gerhild. Später sagte ich meinem Vater, dass Oma behauptete, meine Mutter hieße Gerhild. Ich erfuhr, dass meine Mutter zwar Gerhild hieß, den Namen aber nicht mochte. Und ich weiß, dass ich später eine Zeitlang, wenn ich wütend auf sie war, Gerhild zu ihr sagte. Ich hänselte sie regelrecht und war am meisten dar-$Z$über erstaunt, dass sich eine erwachsene Frau hänseln ließ. Meist schlug sie die Tür hinter sich zu und verschwand im Schlafzimmer. Einmal aber, das werde ich nie vergessen, hat sie mich mit so viel Wut im Blick angestarrt, dass ich zutiefst erschrocken bin. Und dann sagte sie, dass sie schon wüsste, warum sie mich nie gewollt hätte. Und dass sie das nicht mehr aushalte mit mir. Und dass sie es nicht einsehe, warum sie sich von mir ihr Leben zerstören lassen sollte. Es war das letzte Mal, dass ich sie Gerhild nannte.
    Ich hatte zwei längere Beziehungen in meinem Leben. Die erste hielt drei Jahre, die zweite kaum länger. Als die Frau, mit der ich damals zusammen war, die Beziehung beendete, sagte sie, es sei ihr manchmal vorgekommen, als habe ich mich in ihrer Gegenwart aufgelöst, als korrespondierte ich mit jeder ihrer Regungen. Sie sagte, sie habe in den drei Jahren den Respekt vor mir verloren, und sie frage sich im Nachhinein, wie sie es überhaupt so lange mit einem Mann ausgehalten habe, den sie nur als Spiegelung ihres Selbst wahrgenommen habe, einen Mann, der so harmoniebedürftig sei und den es innerlich so nach Versöhnung dränge, dass er gänzlich unfähig sei, sich zu streiten, und sich stattdessen ständig entschuldige. Als ich meinem Therapeuten davon erzählte, fragte er mich, wovor ich denn solche Angst hätte, und ich sagte, davor, jemanden zu enttäuschen. Er fragte: »Haben Sie ein Bild vor Augen, das Sie mir beschreiben können, ein Bild, das in Ihnen dieses Gefühl auslöst?«
    Ich sagte: »Ich sitze einer Frau gegenüber, einer beliebigen Frau, sie sieht mich an, nicht erschrocken, eher regungslos, sie atmet hörbar aus, fast ein Seufzen, dann sagt sie: Das hätte ich nicht von dir gedacht.«
    »Und wie fühlt sich das für Sie an?«
    »Als entzöge sie mir die Liebe, von einem Moment auf den nächsten, einfach so.«
    Eine Zeitlang habe ich mir, wenn ich zu Fuß in der Stadt unterwegs war und eine Straße überqueren musste, ausgemalt, wie ich diesen einen Schritt auf die Fahrbahn mache, so plötzlich, dass der Fahrer des Autos keine Chance hätte, ich malte mir aus, wie Menschen um mich herumstünden, ich die Sirenen hörte, im Krankenwagen läge und hinter den Fenster die Häuser vorbeizögen, ich die Orientierung verlöre und dann in die Notaufnahme geschoben würde. Natürlich hätte das alles nur den einen Zweck gehabt: zu sehen, wie meine Mutter neben dem Bett sitzt, voller Sorge und Mitgefühl.

Der nächste Raum nach dem Kapitelsaal ist das Parlatorium, und von dort aus geht es in den Garten. Zu dieser Jahreszeit hat er seine Pracht verloren. Der Rasen ist feucht, einzig der Efeu rankt sich an der Mauer hoch, kein Plätschern im Brunnen. Er war gleich in den Garten hineingegangen, hatte sich die Schuhe und Socken ausgezogen und war barfüßig über den Rasen gelaufen. Er grub seine Zehen in die Erde und setzte sich dann etwas umständlich auf den Rasen. Anfangs saß er im Schneidersitz da, sein Gesicht der Sonne zugewandt. Dann schloss er die Augen und legte sich rücklings hin. Sie stand im Schatten, die Hände auf der Brüstung, als zwei Frauen ins Parlatorium traten. Eine alte Frau, vielleicht um die achtzig, und eine vielleicht zwanzig Jahre jüngere, die neben ihr ging und sie mit einer Hand stützte. Sie blieben stehen, als sie ihn auf dem Rasen liegen sahen. Die Jüngere betrachtete ihn, als sei sie nicht ganz

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