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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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sicher, ob sie ihn kannte oder nicht. Dann zeigte sie auf ihn und sagte: »Schau mal, das ist er doch.« Die Alte brauchte eine Weile, bis sie verstand, um wen es ging, vielleicht waren ihre Augen auch nicht mehr die besten. Sie sah die beiden Frauen an und ihr war, als gebe der Boden des Parlatoriums nach. Tausend Gedanken schwappten durch ihren Kopf. Wie konnte es sein, dass sie ihn erkannte? Es wusste doch niemand, wie er nach all den Jahren aussah. Gab es noch eine andere neben ihr? Konnte das sein? Sie wusste, dass er auch Briefe von anderen Frauen bekommen hatte, aber sie war nicht auf den Gedanken gekommen, dass er außer ihr noch eine andere getroffen haben könnte. Die Frau musste ihn gut kennen, wenn er ihr trotz seines Alters und Barts so schnell vertraut erschien. Als Nächstes würde sie ein Foto aus der Handtasche ziehen und sich vergewissern. Dann kam ihr der Gedanke, dass die Frau ihm vor viel längerer Zeit schon mal begegnet sein könnte, bevor er weggeschlossen wurde. Sie starrte der Frau auf den Hals, weil sie auf einmal so eine Ahnung hatte. Die Stiche müssten Narben hinterlassen haben. Aber sie konnte nur die ihr zugewandte Seite des Halses sehen.
    Er lauerte so lange vor dem Haus, bis er beobachtete, dass in der Parterrewohnung die Lichter erloschen. Nach einer Weile stieg er durch ein offenes Fenster ein, kam auf den Flur und sah die Türe zum Schlafzimmer offen stehen. Doch zunächst begab er sich in die Küche, entnahm dem Kühlschrank drei Dosen Milch, setzte sich an den Tisch und trank die Dosen aus. Im Haus schlief alles ruhig, im Schlafzimmer das Ehepaar und im Kinderzimmer ein kleines Kind und ein 15-jähriges Mädchen. Er, nachdem er in der Küche ohne Hast getrunken hatte – es war etwa 3 Uhr –, trat wieder auf den Flur hinaus und kroch dann auf allen vieren in das elterliche Schlafzimmer, kroch im Zimmer herum, fand auf dem Nachttisch neben dem Bett des Mannes eine Hose, kroch mit dieser auf den Flur hinaus und entnahm ihr ein paar Mark. Dann kroch er wieder ins Schlafzimmer, fand eine zweite Hose, kroch auf den Flur, um sie zu untersuchen, kroch wieder ins Zimmer zum Bett der Frau, betrachtete ihre abgelegten Wäschestücke, verließ das Zimmer wieder und kehrte zum vierten Mal zurück, um den Schrank zu untersuchen. Das Ehepaar aber schlief ruhig weiter, während das gespenstige Phantom im Zimmer und um die Betten herumkroch. Als im Schlafzimmer endlich nichts mehr zu finden war, suchte der Unheimliche das Kinderzimmer auf und sah dort das 15-jährige Mädchen friedlich schlafend im Bett liegen. »In diesem Augenblick ist es wieder über mich gekommen«, sagte er vor Gericht. »Ich nahm mein Messer aus der Tasche und stieß es mehrmals bis zum Heft in den Hals des Mädchens. Das Mädchen schrie kurz auf, ich rannte aus dem Zimmer – die Türe hatte ich vorher geschlossen –, im Flur rannte ich gegen einen Menschen, kam aber zum Fenster, sprang hinaus und entkam auf dem Fahrrad.«
    War sie es? Sie hatte das Gefühl, dass es keinen Unterschied machte, und das erschreckte sie im Nachhinein. Die Vorstellung, eines seiner Opfer zu sehen, änderte in dem Moment nichts an ihrer Nähe zu ihm. Im Gegenteil. Sie hatte zum ersten Mal Angst um ihn. Sie wusste nicht, was als Nächstes käme, was diese Frau vorhatte. Sie konnte nicht wissen, dass er jeden Abend für sie betete.
    Gott mag dir verzeihen, wenn du Buße tust. Gottes Gnade ist dir sicher und der Weg zu ihr dir beschrieben: durch das Paradies in die Kirche.
    Sie sah, wie sie vor ihm stand, die Sonne im Rücken, sodass er ihr nicht in die Augen sehen konnte. Sie fragte ihn, ob er wisse, wer sie sei. Aber wie sollte er sie erkennen? Er hatte sie nie gesehen, es war dunkel gewesen im Zimmer. Sie hatte sich so hineingesteigert, dass sie selbst überrascht war, als beide Frauen immer noch im Parlatorium hinter der Brüstung standen und ihn anschauten. Die Stimme der jüngeren Frau hallte in ihrem Kopf nach, und ihr wurde klar, dass es nicht der Tonfall einer Frau war, die in ihm den Täter wiedererkannte. Dazu klang ihre Stimme zu beschwingt. Sie betrachtete ihn auch nicht bösartig oder erschreckt, sondern amüsiert, als wäre er ein Zootier beim Dösen.
    Er hatte sich inzwischen aufgerichtet, kniff die Augenlider mehrmals zusammen. Dann schaute er sich um, zog seine Socken und Schuhe an, stand langsam auf und kam auf sie zu. Die beiden Frauen blieben an der Brüstung stehen. Als er nur noch zwei Schritte entfernt war, sagte

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