Als wäre es Liebe
wäre es wieder da. Einen zurück, wäre es weg. Aus der Welt, in der Welt. Aber so war das nicht. Irgendwann flimmerte es, dann mischte sich die Vorstellung ein, und sie spürte, dass die Wahrnehmung auf einmal sehr subjektiv wurde und von der Einbildung nicht mehr klar abzugrenzen war. Sah sie es noch, oder sah sie es nicht mehr? Sie glaubte, es zu sehen, war sich aber nicht sicher. Es ist die Vorstellungskraft, die Bilder, die wir in uns haben, die darüber entscheiden, wie entfernt wir sind. Sie fragt sich, ob es möglich ist, einer Frau so nahe zu kommen, wie er ihr nahe gekommen ist, und doch so entfernt zu sein, dass er seiner Wahrnehmung nicht mehr trauen, weil er Realität und Einbildung nicht auseinanderhalten kann. Sie fragt sich, ob ein Bussard von seiner eigenen Wahrnehmung getrogen wird? Ob er sich jemals auf eine Beute stürzt, die keine ist? Das Boot hat sich mittlerweile so weit entfernt, dass sie ihn aus dem Blick verloren hat. Und statt der Stille vernimmt sie wieder den Diesel unter Deck, der den Rumpf vibrieren lässt. Sie legt ihre Hand auf die Reling, als könnte sie das Boot beruhigen, aber sie leitet das Vibrieren nur weiter, durch die Knochen in ihren Körper, bis zu den Zähnen. Gibt es, außer dem Menschen, irgendein Tier, das tötet aus niederen Beweggründen, aus Hass, Neid oder Habgier, gibt es das mordende Tier? Es heißt, es gäbe dieses Tier nicht. Aber vielleicht ist es auch nur die Schöpfung des Menschen, eine Fabel, um den eigenen Glauben nicht zu erschüttern, den Glauben daran, dass kein Wesen von Natur aus zum Morden bestimmt ist. Und dass Töten immer einen existenziellen Anlass hat.
Er gab an, er habe sie beobachtet, sei ihr danach in sexueller Erregung gefolgt und habe sie überfallen. Dabei habe er mit dem linken Arm die Halswürgezange angewandt und das Opfer niedergerungen. Nach durchgeführtem Geschlechtsakt hat P. seinem Opfer die Kehle mit einem Rasiermesser durchgeschnitten. Nach der Tat nahm er 1 Dose Büchsenmilch mit, die aus der Handtasche der Getöteten herausgefallen war, öffnete die Dose mit dem Rasiermesser und trank die Milch aus.
Sie war zwölf, als im Nachbardorf eine achtzehnjährige Frau ermordet wurde. Es stand damals in jeder Zeitung.
Am Karsamstagabend hatte er frei, ging in das Städtchen und sah gegen 22 Uhr ein junges Mädchen vor einem Schaufenster stehen. Es war die 18-jährige Friseuse Karin W., die Feierabend hatte und auf dem Weg nach Hause war. Er folgte ihr, überfiel sie, riss sie an die Bergseite der Bundesstraße, auf der die Autos fuhren und ahnungslose Fußgänger verkehrten. Karin konnte nicht schreien, er lag auf ihr und drückte mit beiden Händen die Kehle zu. »Weil meine Kraft erlahmte, ergriff ich mit beiden Händen einen großen Stein und schlug dem Mädchen mehrmals auf den Hinterkopf, riss ihm die Kleider vom Leib und missbrauchte es. Als ich mich selbst anzog, stöhnte das Mädchen wieder auf. Da stellte ich mich so lange mit einem Bein auf seinen Hals, bis es still war.«
Sie erinnert sich an die Wochen, in denen er seine Morde verübte. Sie durfte nicht allein von der Schule nach Hause gehen. Und abends ging ihre Mutter durchs Haus und verschloss alle Türen und Fenster. Noch Jahre später hieß es, wenn jemand in den Keller ging: »Pass auf die Bestie auf.« Die Menschen in ihrem Umfeld schienen auf einmal verändert. Ihre Mutter sagte, so einer gehöre vergast. Es war das erste Mal, dass sie dieses Wort hörte, sie wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Beim Bäcker beklagten sich die Kunden darüber, dass es die Todesstrafe nicht mehr gab. Der Nachbar sagte, wenn er ihn erwischte, wollte er ihn am nächsten Baum aufknüpfen. Nachdem er gefasst wurde, gab es eine Begehung des Tatorts, und die Polizei konnte die Anwohner nur mit Mühe davon abhalten, auf den Mann loszugehen. Sie konnte das alles damals nicht verstehen, schließlich hatte keiner von ihnen diese junge Frau gekannt, aber sie hatte das Gefühl, dass es um mehr ging als den Mann, der eine junge Frau getötet hatte. Jahrzehnte später las sie einen Artikel über ihn. Es war ein Porträt über einen zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder. Als sie den Namen las, Friedrich P., waren die Erinnerungen wieder da. Letztlich nahm sie das zum Anlass, ihm zu schreiben.
Die Freiheit hatten sie ihm genommen, er durfte nicht zulassen, dass sie ihm auch die Würde nahmen. Auf das Recht konnte er sich leider nicht verlassen in diesem Land. Das hatte sie früh
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