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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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Vielleicht hat er im tiefsten Inneren nicht an meiner Seite sein wollen. Wissen Sie, vielleicht haben wir die falschen Pole gehabt, Karl und ich, vielleicht haben wir uns abgestoßen und es die ganze Zeit nicht gemerkt.« Dann hielt sie inne. Schaute über die Reling auf das Wasser. Blickte dann wieder zu ihm und sagte: »Ich habe nicht das Gefühl, dass Sie ein unsteter Mensch sind. Im Gegenteil. Sie sind doch die Ruhe selbst. Sitzen die ganze Zeit da und hören sich meine Geschichte an, obwohl Sie mich gar nicht kennen. Und denken sich innerlich, wann hört die endlich auf zu quatschen. Und, stimmt es?«, fragte die Dame aus Worms.
    »Nein«, sagte er.
    »Er redet nicht gern über den Tod«, sagte sie.
    »Haben Sie auch jemanden verloren, der Ihnen nahestand?«, fragte die Dame aus Worms.
    »Er war dabei, als jemand starb«, sagte sie. Und die Frau aus Worms hielt sich übertrieben auffällig die Hand vor den Mund.
    »Das tut mir aber leid«, sagte die Frau, »das ist bestimmt sehr schmerzlich.«
    Bevor sie das Gespräch weitertreiben konnte, sagte sie: »Friedrich, du musst aufpassen, die Sonne tut dir nicht gut. Du solltest lieber reingehen.« Er stand bereitwillig auf, und sie ging ihm voraus in die Kajüte. Die Dame aus Worms sammelte die Becher ein, die noch auf der Bank standen, drehte die Kanne zu und stopfte alles in den Beutel.
    Ihr wird allmählich kalt. Der alte Mann und seine zwei Begleiterinnen sind bereits in die Kajüte gegangen. Sie folgt ihnen. Aber kaum dass sie drinnen steht, wird ihr wieder bewusst, dass sie Kajüten nicht erträgt, es ist, als würde jedes Wogen hier drinnen verstärkt, jede noch so kleine Welle ihren Magen durcheinanderspülen. Sie weiß nicht, was es ist, es muss eine Einbildung sein, weil es sonst keinen Sinn macht. Das Boot schaukelt hier nicht anders. Sie steigt die Treppe hinab und holt sich einen Becher mit Kaffee. Hier, unterhalb des Wasserpegels, ist es noch schlimmer. Sie weiß gar nicht, wie die Menschen hier so ruhig an den Tischen sitzen und ihre Bockwürste in den Senf tunken können. Sie kramt nach den Münzen im Portemonnaie und bekommt fast Panik, weil sie nicht gleich die passenden findet. Dann klettert sie wieder einen Stock höher, durchschreitet die Kajüte, öffnet die Tür und tritt ins Freie. So steht sie eine Weile da, beide Hände um den Becher, und atmet tief ein. Es kann nur an der Perspektive liegen, dass der Welt hier keine Rahmen gesetzt sind. Dass sich ihr Blick an den Bäumen und Bergen klammern kann und sie unverrückbar erscheinen und keine schwankenden Fensterrahmen diesen Eindruck täuschen. Sie setzt sich auf die frei gewordenen Plätze in der Sonne.
    Weit oben zieht ein großer Vogel seine Kreise. Seine Flügel tragen ihn scheinbar minutenlang, ohne dass er sie bewegen müsste. Vielleicht ein Bussard oder ein Falke. Er kreist und späht nach Beute. Was für einen Blick er haben muss, von so hoch oben seine Beute zu erspähen. Er zieht weite Kreise über den Weinhängen. Wie viele Stunden verbringt dieser Vogel in der Luft mit der Suche nach Beute? Sie wartet darauf, dass die Kreise, die er zieht, enger werden, dass er an Höhe verliert und sich in einem Moment hinabstürzt. Sie behält ihn im Blick, während das Boot den Neckar aufwärts fährt. Nichts lässt auf einen Kampf um Leben und Tod schließen. Nur ein einsamer, schwebender, stiller Vogel, der aus dieser Höhe nicht mal einen Schatten auf den Boden wirft. Seine Augen haben mit den Jahren nachgelassen, seine Sicht an Schärfe eingebüßt. Auf welche Beute hätte er denn noch Jagd machen können?
    Am Ende verliert alles seine Einzigartigkeit. Es ist nur eine Sache der Entfernung. Du siehst die Augen einer Frau nicht mehr, wenn du weit genug weg bist. Ab einem gewissen Punkt siehst du nicht mal mehr die Frau. Als Kind hat sie sich gefragt, ob es diesen Punkt gibt und wie man ihn nennen könnte. Sie ist an den Waldrand gegangen, an dem ein Feldweg entlangführte, ein langer, gerade Weg, sie ist mittags gegangen, damit der Weg nicht im Schatten lag, sondern von der Sonne gut beschienen. Sie hat ihr kleines Plastikpferd auf den Boden gestellt und sich dann rückwärts, Schritt für Schritt, von dem Pferdchen entfernt, ohne es aus den Augen zu lassen. Sie dachte, es müsste diesen einen Schritt geben, der das Pferd unsichtbar für ihre Augen machte. Sie stellte es sich vor, wie das Kaninchen, das der Zauberer aus dem Hut holte. Mit einem Mal ist es weg. Träte sie einen Schritt vor,

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