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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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gelernt. Vor allem wenn die Mehrheit meinte, im Recht zu sein, was in seinem Fall ganz offensichtlich so war. Die Mehrheit hätte gern die Todesstrafe an ihm verhängt, aber weil es die Möglichkeit nicht mehr gab, hatten sie sich für die Hinrichtung mit der trockenen Guillotine entschieden. Aber er konnte ein freier Mensch bleiben, wenn er seine Würde behielt. Daran konnten Gefängnismauern ihn nicht hindern. Niemand konnte ihm das Denken und Träumen nehmen. Die Freiheit fing nicht erst mit dem Tag der Entlassung an.
    Im Nachhinein wundert es sie, dass der Brief ihn erreichte. Mit Sicherheit machten sie bei ihm nicht nur Stichproben, sondern lasen jeden seiner Briefe. Aber offenbar gab es den einen oder anderen Beamten, der ihm in einer Weise wohlgesinnt war. Wie Fritzmann, der sich bei ihren Ausführungen oft bewusst zurückhielt oder wegschaute, damit sich Friedrich nicht ständig beobachtet fühlte.
    Seine Antwort kam zwei Wochen später. Sehr förmlich bedankte er sich für ihren Brief, auch wenn er offensichtlich Schwierigkeiten mit der Orthographie hatte. Allerdings ging er nicht weiter auf ihren Brief ein. Er wollte wissen, wie es ihr gehe, wie sie ihre Tage verbringe, ob sie sich Zeit für die Natur nehme, ob sie in einer Stadt lebe, was sie sehe, wenn sie aus dem Fenster blicke, und schrieb ihr, dass er manchmal Besuch von einem Vogel bekäme.
    er erzählt mir von der welt schöne dinge von kindern die eis essen von wiesen auf denen menschen liegen und in den himmel schauen und seen in denen menschen schwimmen
    Sie schrieb nicht sofort zurück. Weil sie nicht wusste, was sie schreiben sollte. Dass sie auf einen kleinen Park blickte? Dass sie als Mädchen gern an den Weiher gefahren war, an Wiesen entlang und durch einen Wald musste, um dorthin zu gelangen? Sie hatte es geliebt, damals, als Kind, in der Natur zu sein. Auch wenn es ihr schwerfiel, sich die Bilder ungetrübt vorzustellen. Die Ameisen, die über ihre Finger liefen, die Kletten, die sie sich von den Socken zupfte, die feuchte Erde, die sie versuchte, sich vom Kleidchen zu wischen.
    Er hatte Pfarrer Schmidt offenbar von ihr erzählt. Eines Tages schrieb dieser ihr, dass er, wenn sie Friedrich besuchen wolle, helfen könne. Er schrieb ihr auch, dass die Gefängnisleitung keine Ausführungen mehr genehmige, obwohl sie Friedrich zustünden, und wie sehr er darunter leide, weil er Sehnsucht habe nach der Natur. Er schrieb, dass er sich sehr freuen würde, ihr zu begegnen, und er legte eine Pressemitteilung bei, die er verfasst hatte, in der er sich für die Menschenwürde von lebenslang Inhaftierten einsetzte. So kam es, dass sie zum Telefon griff und Bernhard nach Jahren wieder anrief.

Sie sprach von Bernhard und ob ich ihr die Nummer geben könnte. Ich wusste erst nicht, wen sie meinte, weil ich ihn nie Bernhard genannt hatte, für mich war er immer Papa gewesen. Sie war die Mama immer nur gewesen, wenn wir über sie sprachen. Sie hatten jahrelang nicht miteinander gesprochen. Und für einen Moment, das will ich nicht verhehlen, spürte ich eine Aufregung in mir. Ich hatte die beiden nur bis zu meinem siebten Lebensjahr als Paar erlebt, damit meine ich, dass sie in derselben Wohnung lebten. Mit Sicherheit werden sie eine Zeit miteinander gehabt haben, in der sie ein richtiges Paar waren, Sex miteinander hatten, und zwar nur sie und er, ich glaube, mein Vater war nie ein Verfechter der freien Liebe, Arm in Arm im Bett gelegen haben, auf Partys gegangen sind, am selben Joint gezogen haben, aber das muss vor meiner Zeit gewesen sein. Es schien, dass ich einfach zwischen sie geraten war. Einmal sah ich meinen Vater, wie er seine Hand auf ihren Hintern legte oder sie mal in der Küche gegen den Kühlschrank drückte und ihr heftig stöhnend den Hals geküsst hatte, ich erinnere mich, weil ich darüber erschrak und nicht wusste, was er tat, und mich gleichzeitig wunderte, dass meine Mutter es über sich ergehen ließ, so kannte ich sie nicht.
    Sie hatten getrennte Zimmer, beziehungsweise meine Mutter schlief im Schlafzimmer und mein Vater auf dem ausgezogenen Sofa im Wohnzimmer. Manchmal fragte mich meine Mutter nach meinem Vater, und ich erzählte ihr, wie er lebte, in der Hoffnung, sie könnte im tiefsten Inneren einsehen, dass es ein Fehler gewesen war zu gehen. Ich erzählte ihr von der großen Wohnung, in der mein Vater lebte, vier Zimmer mit Dachterrasse, ein Wohnzimmer voller Designermöbel, ein Kühlschrank mit Eisautomat, ein Fernseher von

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