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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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verbrachte und dort seine detailreichen, lyrischen Artikel schrieb, den Blick kaum vom Text gelöst, die Lippen geschürzt und trocken vor Einsamkeit. Einzig eine Reihe französischer Fenster, die auf den Garten blickten und das Arbeitszimmer heller als die übrige Wohnung wirken ließen, bot Linderung von dieser bedrückenden Atmosphäre. Eines dieser Fenster stand auf, eine warme Brise spielte mit einem Paar bodenlanger Musselinvorhänge.
    Nach einem Augenblick der Unentschiedenheit wies Mr. Riley Lucas an, sich auf das Sofa zu setzen. Er beobachtete ihn, eine Hand in der Tasche, die andere spielte immer noch mit dem Füller herum. Erst stand er ein wenig zu nahe, dann wich er zum Schreibtisch zurück. Er musterte Lucas, als habe er gerade eine unbekannte Spezies entdeckt.
    »Hier also arbeiten Sie?«, fragte Lucas in seinem Bemühen um eine normale soziale Interaktion.
    Die Frage wurde ignoriert. »Was genau ist der Anlass für Ihren Text?«
    »Nun«, sagte Lucas/Louis, »es ist Stück ungeschriebener Geschichte, unbekannter Lokalkultur. Und außerdem«, das hatte Simone erwähnt, »ist im Moment in der schwarzen Tanzszene einiges los, der Zeitpunkt ist also günstig.«
    »Ah. Verstehe.«
    Das Lügen wurde anstrengend. Lucas war nicht sicher, wie lange er in solch einer erdrückenden Situation undercover bleiben konnte. Ihm fiel ein, wie er mit Jake im Alter von fünfzehn Jahren in einen Pub in Maida Vale gegangen war. Sie hatten so getan, als wären sie aus Sheffield, bis sie ihre Ausweise zeigen mussten – der falsche Akzent war zerbröselt, als sie dem Barmann einreden wollten, sie seien alt genug zu trinken. Lucas sagte Mr. Riley, dass er sich mit Simone de Laperouse getroffen hatte, und zumindest das war keine Lüge. Als Lucas ihm berichtete, was Simone über das Midnight Ballet erzählt hatte, über dessen Aufstieg, so eigene Formensprache und exotischen Reiz, wurde die Miene seines Gegenübers noch besorgter. Mr. Riley kam bedrohlich näher. »Exotisch! Lachhaft!«, er schrie beinahe. »Das war eine ernst zu nehmende Compagnie mit einem überzeugenden Repertoire. Mit handwerklich gelungener und intelligenter Choreografie. Das war eine der wichtigsten Compagnien ihrer Zeit, nicht irgend so eine affige Cabaret-Nummer.«
    »Äh, sicher«, sagte Lucas. Hier, in seinem Arbeitszimmer, wirkte Mr. Riley plötzlich groß und energisch, raubtierhaft geradezu. Seine aschfahle Nähe war beunruhigend.
    »Ich verbiete Ihnen dieses Wort.«
    »Sie meinen affig?«
    »Exotisch!« Eine kurze Pause entstand. »Es ist sehr wichtig, sie nicht falsch darzustellen.«
    Die Art, wie Mr. Riley »sie« sagte, war seltsam. Mr. Riley hatte dabei zur Tür geschaut, als ob er das Midnight Ballet samt seiner Kostüme, Instrumente und Seesäcke im Korridor vermutete. Die Vorstellung war so mächtig, dass Lucas ebenfalls zur Tür sah. Er entschied sich, auf den Punkt zu kommen.
    »Simone hat ja eine ziemlich eigene Meinung über den künstlerischen Leiter der Truppe«, sagte er. »Wir fokussieren besonders auf ihn – war offenbar ein interessanter Typ. Kannten Sie ihn gut?«
    Mr. Riley sagte leise (er hatte sich wieder hingesetzt): »Allerdings.«
    »Können Sie mir sagen, woran Sie sich am ehesten erinnern? Falls es Ihnen nichts ausmacht? Gibt es irgendeine Besonderheit, an die Sie sich erinnern?«
    Lucas holte seinen Notizblock heraus. Mr. Riley blieb vollkommen reglos, beobachtete Lucas, die verblichenen Hände lagen sorgsam auf den Knien. Wieder diese anklagende Miene. Er vermittelte Lucas ein intensives Gefühl von Abneigung. Nach einem langen, unangenehmen Schweigen sagte er:
    »Seine Stimme.«
    »Seine Stimme.«
    »Sie war ängstlich. Raunend.«
    Um sich Mr. Rileys Blicken zu entziehen, senkte Lucas den Kopf und schrieb.
    »Er neigte manchmal ganz plötzlich den Kopf, als würde er seltenen Vögeln nachlauschen. Finden Sie diese Beschreibung auch so toll?«
    Als Lucas wieder aufsah, blickte er in Augen voller Hass. Er verstand nicht, warum Mr. Riley so feindselig war. Er wollte gerade etwas erwidern, doch sein Gegenüber war noch nicht fertig.
    »Wieso meinen Sie, dass Sie hier so einfach reinplatzen können? Mich Dinge fragen können, die Sie gar nicht verstehen?«
    »Hören Sie, ich wollte nicht …«
    »Meinen Sie, nur weil Sie ein paar Artikel gelesen haben, wären Sie Experte? Könnten Sie fremde Erinnerungen stehlen und daraus Ihre eigenen machen?« Lucas stand langsam auf. Mr. Riley stand mit ihm auf. »Ich sollte Sie wohl

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