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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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hatte sie zum Kribbeln gebracht. Um das Kribbeln zu besänftigen, hatte er Stift und Papier mit ins Theater genommen. Aus Kritzeleien wurden Worte, aus Worten wurden Sätze, über die himmelsgleiche Bühne und die geflügelten Wesen, die sie ihr Eigen nannten.
    Diese frühe Begeisterung für den Tanz hatte Riley niemals verlassen. Während einer Schicht im Newsroom hatte er einem Reporter gegenüber einmal erwähnt, dass er gerne Tanzkritiken schreiben würde. Sein Kollege, der für seine Taktlosigkeit berühmt war, hatte erwidert, dass Riley ganz sicher nicht als Kritiker geeignet sei, weil man dafür nämlich wissen müsse, was man meint, »und Sie wissen ja nicht, was Sie meinen. Sie sind ein durchschnittlicher Mann mit durchschnittlichem Verstand. Nichts für ungut, aber Sie haben zu keinem Thema wirklich was zu sagen.« Bald darauf verließ Riley die Zeitung, um sich seinen Lebensunterhalt auf die mühsame Weise des Freiberuflers zu verdienen. Er schrieb für die Tanzpresse. Er saß bei drei oder vier Aufführungen pro Woche auf den Presseplätzen, bei Alvin Ailey sogar drei Reihen von Antoney und Oscar entfernt. Er entwickelte ein eigenes Notizbuchsystem, ordnete seine Kritzeleien aus dem Dunkel nach Alphabet und Farbe, entsprechend Genre und Compagnie. Immer, wenn er schrieb, war er auf Reisen. Es war, als säße er in einem Zug, als würden Dächer, Schafe, gelbes Gras an ihm vorüberziehen, und schließlich kam er irgendwo an, mit klarem Kopf. Man muss überhaupt nicht wissen, was man denkt, hätte er seinem Kollegen gesagt, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen hätte. Das findet man erst später raus. Es reicht, wenn man die Richtung kennt.
    Angesichts all dessen, was Riley schon vor seiner Begegnung mit Antoney über das Midnight Ballet geschrieben hatte, und wenn es ebenso zutraf, dass Autoren ihr Herz auf der gedruckten Seite trugen, konnte man wohl mit gleichem Recht behaupten, dass auch Antoney bereits Riley kannte. Riley war zehn Jahre älter. Er wurde zu Antoneys Vertrautem und Ratgeber, wenn es um kreativen Zweifel, sein Verhältnis zu den anderen Tänzern oder den Umgang mit seinem plötzlichen, verstörenden Ruhm ging. Sie führten lange Gespräche in einem spanischen Café gegenüber des 20th Century Theatre auf der Westbourne Grove, in deren Verlauf sie von Kaffee zu Brandy wechselten. Ihr Lieblingstisch stand neben einem farbigen Glasfenster, auf das sie beide schauten, wenn sie nachdachten. Antoney war der Redselige. Riley der Zuhörer, der stille Betrachter. Er wurde bei den Proben der Compagnie willkommen geheißen, und so lernte er die anderen Mitglieder der Truppe kennen, Ekow, den zwanghaften Fürsprecher, die larmoyante Simone, den misstrauischen Bluey und Carla (»deine Mutter machte sich einen Spaß daraus, mich mit dem Nachnamen anzureden«). Im Herbst 1968 folgte Riley ihnen auf einer Tour durch Großbritannien, im Hinterkopf schon sein künftiges Buch. Es war bemerkenswert, in welch kurzer Zeit sie so erfolgreich geworden waren, doch für die damalige Zeit war das nicht ungewöhnlich. Einen Monat nach dem Ledbury hatten sie einen Auftritt im Jeannetta Cochrane Theatre in Holborn, dann folgten Shows im Commonwealth Institute und Sadler’s Wells. Riley hatte zusehen können, wie ihre Aufführungen dichter, perfekter wurden, ihre Verbeugungen gesammelter und weniger panisch. Die experimentelle Szene, die in jenen Jahren den zeitgenössischen Tanz prägte, nahm sie mit offenen Armen auf, aber auch das breitere Publikum schätzte sie. Bereits ein Jahr nach ihrem Debüt zogen sie landesweit auf respektablen Bühnen große Zuschauermengen an. Es waren für alle, nicht zuletzt für Riley, turbulente und großartige Zeiten. Fahrten in rostigen Zügen durch Englands Süden, sonnenbeschienene Spaziergänge, Diamanten, die auf Wellen hüpften. An manchen dieser Orte, Cardiff, Oxford, Devon, wurden die Tänzer wie reisende Würdenträger behandelt. Sie stiegen in einem idyllischen Gästehaus oder schicken Hotel ab, sie, die lärmende Truppe mit ihrem rauem Showbizglamour, ihre Poster hingen in Lobbys, Bibliotheken und Geschäften, zum Frühstück gab es die besten Eier. Sie genossen es in vollen Zügen. Es gab Einladungen zu Partys, Kleinstadtmädchen flatterten nach dem Vorhang zur Bühne, ihre Bilder waren in der Zeitung. Antoney und Ekow marschierten wie Rockstars an der Spitze ihrer Entourage in die Theater. Die Bühnentür, von der Antoney einst nur geträumt hatte, war nun der

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