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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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Schaulustige, der neugierige liberale Mittelschichtler, die Tanz- und Kunstszene mit rauchigen Augen und James Dean-Frisur. Toreth war ebenfalls gekommen, sie saß mit sehr viel Skepsis in der ersten Reihe, bei den anderen Familienmitgliedern der Compagnie. Florence war sehr bewusst nicht gekommen. Sie war bei der Kostümprobe gewesen, aber der Anblick ihres Sohns, der mit Shango-Rock und Make-up herumstolzierte, war ihr peinlich. Die Trommeln, die alten Gottheiten, was war daran anders als an einem Obeah-Tanz, wie man ihn zu Hause, in St. Thomas, praktizierte? Und genau das hatte sie geäußert. Die beiden sprachen nicht mehr miteinander, und die Situation sollte sich im Laufe der Zeit sogar noch verschlimmern.
    Die Häute der Trommeln waren mit Talkumpuder bestrichen, damit Nebel aufstieg, wenn sie spielten. The Wonders eröffnender Gesang ließ das Rascheln der Menge verstummen. Hier und da war Schluckauf zu hören. Bluey trug sein Gewand verkehrt herum, aber er blieb im Takt. Vergessene Schritte wurden gut überspielt, und Antoney als Shango war sensationell, er loderte mit glühenden Armen über die Bühne. (Du wirst eines Tages sehr, sehr stark, du wirst ein großartiger Shango.) Was mit seiner Stimme geschehen war, blieb ein Rätsel. Doch von nun an verlor er bei jeder weiteren Show eine Viertelstunde vor dem Vorhangheben seine Stimme, und sie kehrte erst während der Pause zurück. Und das war gut so, sagte Simone.
    Sie wusste auch noch, dass die Spannung zwischen Carla und Antoney an jenem Abend beinahe greifbar war. Es war, als müsste man Angst haben zu stolpern, wenn man zwischen ihnen durchging – als ob das Lampenfieber und die höhlenartige Atmosphäre des Theaters sie in den Bann geschlagen hätten. Wenn Carla in Antoneys Nähe kam, wurden seine Augen weicher. Als Carla und Simone in ihren Shango-Kostümen in den Kulissen standen, spürte Simone hinter sich eine Spannung. Sie drehte sich um – Antoney lauerte einen Meter von ihnen entfernt. Die Chemie zwischen Antoney und Carla war so stark, dass sie wie eine Barriere wirkte. Erst beim letzten Tanz, erst bei »Blues House«, konnten sie miteinander kommunizieren.
    Dies war ihr aller Lieblingsballett. Sechs Tänzer (Antoney, Ekow, Ricardo, Carla, Simone und Milly), die Männer mit Fedoras, die Frauen in goldenen Paillettenoberteilen mit weißen Chiffonschals, swingten und stöckelten zu Songs von den Maytals, Lord Tanamo und Nina Simone durch schwindelmachende, eklektische Vignetten. Der Zuschauer sah skulpturale Hände und statueske Köpfe, lockere Hüften und robuste Arme. In der Mitte des Stücks gab es eine Sequenz, bei der alle Tänzer auf der Bühne waren und sich eine glitzernde Aluminiumscheibe zuwarfen; Antoneys choreografisches Markenzeichen kam darin vor, das Motiv aus Auf-den-Boden-Klopfen, Immer-schneller-über-die-Hüften-Streichen, dann Aufrichten und Vorwärtsstolpern, hier eher feierlich getragen. Er und Carla beschlossen das Stück mit ihrem Duo. Es war der Höhepunkt des Abends. Sobald die beiden mit Ninas schwermütiger Stimme allein auf der Bühne waren, sobald sie im Stil des Kumina von den Seiten her aufeinanderzugeeilt waren und sich in der Bühnenmitte trafen, übernahm die Chemie, die sie seit Tagen, Wochen, Monaten umgeben hatte, die Kontrolle. Es war, als wären sie in einem leeren Raum, als wüssten sie nur voneinander, als würde das Publikum durch ein Schlüsselloch zusehen. Es hatte, wie Oscar es von seiner fernen Beobachterposition aus wahrgenommen hatte, fast schon etwas Pornografisches. In all seinen Jahren in der Tanzwelt hatte er noch nie etwas so Erotisches, so greifbar Leidenschaftliches gesehen. Toreth schaute weg. Ihre Körper glitten in ständigem Kontakt umeinander herum und zeigten alle Facetten einer Umarmung. In der dampfenden Hitze, die von den Rampenlichtern aufstieg, schienen sie schwerelos und unerreicht. Carlas lange Arme waren hypnotisierend. Sie überflügelten sich selbst. Als Antoney sie in dem roten Licht emporhob und sein Gesicht an ihre Rippen drückte, war dies ein erhabener Moment, der Augenblick, in dem Carla wusste – wie sie Simone später erzählen sollte (»das arme, fehlgeleitete Ding«) –, dass dies der Mann fürs Leben war.
    Besser hatten sie es nie getanzt. Oscar war außer sich vor Freude. Der Applaus war kräftig und würzig. In Antoneys Ohren klang er vertraut. Wenn seine Mutter beim Kochen abgelenkt war, die Zwiebeln mit zu wenig Öl anbriet und dann eilig Wasser hinzugoss,

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