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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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dann klang es genauso. Du weißt, was ich meine, oder?
    »Du bist echt komisch«, sagte Carla, als sie um vier Uhr morgens in seiner Armbeuge lag.
    An jenem Abend saßen auch zwei Journalisten im Publikum. Der eine arbeitete für die Lokalzeitung. Der andere war Edward Riley, der die Show für das einflussreiche Dancing Eye besprechen sollte und einen Mantel mit Salz-und-Pfeffer-Muster trug, den er während der gesamten Aufführung anbehielt.

6
    Es war eines jener lindenverschatteten Häuser abseits der Holland Park Avenue, deren Vorgärten so lang waren, dass man sich auf dem Weg zur Haustür eine Rede ausdenken konnte. Lucas war schon lange nicht mehr durch das Viertel geschlendert, Toreth war hier mit ihm spazieren gegangen und hatte ihm erklärt, der einzige Unterschied zwischen den Leuten auf dieser Seite des Hügels und ihrer bestünde im Geld, und das sei als menschliches Verdienst ein Witz. Drüben, auf dem großen Boulevard, lagen die hervorragende Patisserie, die Top-Qualitätsreinigung und der schicke Burgertreff, zwei Straßen vom üppigen Stadtgarten entfernt. Das Haus selbst war jedoch nicht so schick wie manch anderes in seiner Nachbarschaft. Weder war es von einer gepflegten Hecke umgeben, noch gab es Beete, Blumenampeln oder Hängekörbe. Es wirkte mit seinem rostigen Tor und dem knöchelhohen Unkraut, das unentschieden um einen Pfad aus Trittsteinen herumstand, fast ein wenig heruntergekommen, unheimlich gar, mit seinen dreckigen Fenstern und dem Kletterefeu an der Wand. Erst hatte Lucas aus reiner Verzagtheit vor dem Tor gezögert. Er kaute auf einem Wrigley’s herum, weil er vor seinem Besuch noch ein Mittagspfeifchen für nötig befunden hatte. Je näher er der schwarzen Haustür kam, umso weniger konnte er sich an das erinnern, was er sagen wollte.
    Er klopfte. ( Wenn du deine Angst nicht bezwingst, dann wird sie dich bezwingen. ) In seiner Umhängetasche warteten Notizblock und Diktiergerät, falls es tatsächlich zu einem Interview kommen sollte. Eine spätfrühlingshafte Hitzewelle hatte die Stadt im Griff. Lucas trug sein einziges weißes Hemd, um einen guten Eindruck zu machen – er hatte keinen Termin und auch keine Vorstellung davon, was, oder wer, ihn erwarten würde.
    Auch das zweite Klopfen blieb unerwidert. Lucas spielte schon mit dem Gedanken, eine Nachricht zu hinterlassen, was die schwierige Lucas-oder-Louis-Frage aufwarf, da sah er aus den Augenwinkeln, wie eine Gardine zuckte. Eine grau-weiße Katze saß im Fenster und beobachtete ihn. Er versuchte es noch einmal und wartete gefühlte fünf Minuten, bis er eine Bewegung hinter der Tür vernahm. Sie ging vorsichtig auf, dahinter stand ein fahler, bärtiger, alter Mann mit freudlosen Augen, der ein schlecht sitzendes Cordjackett und Hausschuhe trug. Mit feindseliger Miene spähte er zu Lucas hinaus.
    »Ich habe keinerlei Interesse«, sagte er. »Ich werde Ihresgleichen wegen Belästigung anzeigen, Sie stören meine Privatsphäre.«
    So viel Zorn wäre gar nicht nötig gewesen, auch wenn Lucas der Gasmann oder eine Avon-Beraterin gewesen wäre.
    »Ich verkaufe nichts. Ich bin auf der Suche nach … Mr. Edward Riley?«
    An der Art, wie sich sein Gegenüber versteifte (als ob Lucas ihn wegen irgendetwas beschuldigt hätte), war offensichtlich, dies war sein Mann. Es verwirrte ihn. Lucas hatte nicht damit gerechnet, dass Mr. Riley so einfach an die Tür kommen würde.
    »Und, was wollen Sie?«, fragte der Mann.
    Nun mach nicht rum, jetzt komm zur Sache. Für Cynthia. Tu es, für Cynthia.
    »Ich bin Journalist. Louis Miguel, vom West -Magazin.« Die ausgestreckte Hand wurde nicht ergriffen. »Ich wollte Ihnen schon eine Nachricht hinterlassen – worum es geht, ich wollte mit Ihnen über meine Recherchen sprechen, über das Midnight Ballet …«
    »Wie?«
    Lucas dachte, Mr. Riley hätte ihn nicht verstanden, darum sagte er etwas lauter: »Das Midnight Ballet. Ich habe Ihre Artikel gelesen.«
    »Welche Artikel? Woher haben Sie die?«
    Der Mann wirkte ausgesprochen verwirrt und leicht paranoid. Das linke, bleierne Auge zuckte. Als Lucas ihn an die Existenz öffentlicher Bibliotheken erinnerte, drehte Mr. Riley den Kopf ein wenig, als ob er etwas in der Dunkelheit hinter sich hören würde. Aufgrund des virtuosen Stils der Artikel hatte Lucas eine selbstbewusste, hochtrabende Erscheinung erwartet, vielleicht jemanden mit dickem Bauch und Bart, aber nicht diese kleine, angespannte, verwaschene Type vor ihm. Er umklammerte einen

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