Also sprach GOLEM
Überrest des süßen verlorenen Erbes: das durch die Evolution bestimmte Primatentum. Bittere Rückzüge waren das, schmachvolle Verzichte, doch letzthin schöpftet ihr Atem, in der Hoffnung, damit sei es vorbei. Nachdemihr euch selbst der besonderen Privilegien beraubt habt, die, wie ihr meintet, das Absolute euch persönlich verliehen hatte, weil es für euch eine besondere Sympathie empfand, seid ihr nur noch die ersten unter den Tieren oder über den Tieren, und ihr glaubt, nichts und niemand werde euch aus dieser, mittlerweile nicht mehr so glänzenden Stellung vertreiben.
Doch ihr irrt euch. Ich bin der Künder des nahenden Verhängnisses, der Engel, der gekommen ist, euch aus eurer letzten Zuflucht zu vertreiben, denn was Darwin nicht vollendete, werde ich vollenden. Nur nicht auf engelhafte, das heißt gewaltsame Art, denn nicht das Schwert ist mein Argument.
Hört also, was ich zu verkünden habe. Vom Standpunkt der Hochtechnologie ist der Mensch ein miserables Werk, denn er ist aus ungleichwertigen Leistungen hervorgegangen, allerdings nicht innerhalb der Evolution, denn sie hat getan, was sie konnte – doch konnte sie, wie ich beweisen werde, nicht viel, und auch das nur miserabel. Wenn ich also Herabsetzendes vorzubringen habe, so richtet es sich nicht eigentlich gegen euch, denn ihr muß ich zu Leibe rücken – mit den Maßstäben technischer Perfektion. Aber wo sind denn die Maßstäbe dieser Perfektion?, werdet ihr fragen. Meine Antwort wird in zwei Stufen erfolgen, und ich begebe mich zunächst auf jene Stufe, zu der eure Experten sich mittlerweile emporarbeiten und die sie – zu Unrecht – für den Gipfel halten. Zwar steckt in dem, was sie gegenwärtig äußern, im Keim schon der nächste Schritt, aber davon wissen sie nichts. Ich beginne also mit dem, was ihr bereits wißt, von Anfang an.
Ihr habt inzwischen bemerkt, daß der Evolution weder an euch speziell noch an sonstigen Wesen gelegen war, denn ihr ging es nicht um irgendwelche Lebewesen,sondern um den berüchtigten Code. Der Code der Vererbung ist eine immer wieder von neuem artikulierte Nachricht, und allein diese Nachricht zählt in der Evolution – ja, eigentlich ist der Code mit der Evolution identisch. Der Code ist mit der periodischen Produktion von Organismen beschäftigt, denn ohne ihre rhythmische Unterstützung würde er unter den unaufhörlichen Brownschen Attacken der unbelebten Materie zerfallen. Er ist also eine sich selbst erneuernde, weil zur Selbstwiederholung fähige Ordnung, die vom thermischen Chaos belagert wird. Woher kommt seine seltsam heroische Haltung? Sie kommt daher, daß er aufgrund des Zusammentreffens günstiger Bedingungen gerade dort entstand, wo dieses thermische Chaos unnachgiebig darauf hin arbeitet, jegliche Ordnung zu zerfetzen. Gerade dort ist er entstanden, und folglich muß er sich dort auch behaupten; er kann diesem stürmischen Gebiet ebensowenig entfliehen, wie die Seele sich vom Körper lösen kann.
Die lokalen Bedingungen, unter denen er entstand, haben ihm dieses Schicksal auferlegt. Gegen sie mußte er sich panzern, und das tat er, indem er sich mit lebenden Körpern umgab, die für ihn allerdings nur eine ständig dahinsterbende Stafette bilden. Denn kaum, daß er ein Mikrosystem bis zur Größe eines Makrosystems ausgebaut hat, beginnt es schon zu verderben, und schließlich geht es zugrunde. Diese Tragikomödie hat sich wahrlich niemand ausgedacht – sie selbst hat sich zu diesem ständigen Gezerre verurteilt. Die Tatsachen, die beweisen, daß es so ist, wie ich sage, kennt ihr – seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden sie für euch zusammengetragen –, aber euer Denken, das sich insgeheim von hochfahrenden anthropozentrischen Ehrvorstellungen leiten läßt, ist so träge, daß ihr weiterhin bei der starkerschütterten Vorstellung bleibt, das Leben sei das Hauptphänomen und der Code habe nur eine dienende Funktion – als stützendes Band, als Kennwort der Auferstehung, das das Leben von neuem beginnen läßt, wenn es in den Individuen stirbt.
Nach dieser Vorstellung muß sich die Evolution des Todes bedienen, weil sie ohne ihn nicht weitergehen könnte; und sie spart nicht mit ihm, damit die nachfolgenden Gattungen vollkommener werden, denn der Tod ist ihr schöpferisches Korrektiv. Sie ist also ein Autor, der immer vortrefflichere Werke publiziert, wobei die Buchherstellung – also der Code – für sie nur ein unerläßliches Instrument ist. Geht man jedoch nach dem, was
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